Nr. 326 Der Botschafter in Wien an den Staatssekretär des Auswärtigen (Privatbrief), 28. Juli 1914: Difference between revisions

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<center>Nr. 326</center>
<center>Nr. 326</center>


<center>Der Botschafter in Wien an den Staatssekretär des Auswärtigen (Privatbrief)<sup>1</sup></center>
<center><font size=4>'''Der Botschafter in Wien an den Staatssekretär des Auswärtigen (Privatbrief)<sup>1</sup>'''</font></center><br>


Geheim!&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; Wien, den 26. Juli 1914<sup>2</sup>
Geheim!&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; Wien, den 26. Juli 1914<sup>2</sup><br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Lieber Herr v. Jagow !  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Lieber Herr v. Jagow ! <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Besten Dank für Ihr freundliches Seh reiben von gestern, betreffend die  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Besten Dank für Ihr freundliches Schreiben von gestern, betreffend die <br>
italienische Kompensationsfrage. Ich kann Sie versichern, daß niemand  
italienische Kompensationsfrage. Ich kann Sie versichern, daß niemand <br>
mehr als ich von der absoluten Notwendigkeit überzeugt ist, Italien  
mehr als ich von der absoluten Notwendigkeit überzeugt ist, Italien <br>
fest beim Dreibund zu halten, und daß ich mit Beharrlichkeit und  
fest beim Dreibund zu halten, und daß ich mit Beharrlichkeit und <br>
äußerster Festigkeit alles nur Mögliche tue, um die Leute hier zu  
äußerster Festigkeit alles nur Mögliche tue, um die Leute hier zu <br>
bewegen, aus ihrem unnützen Streit mit Italien über die Au'^legung
bewegen, aus ihrem unnützen Streit mit Italien über die Auslegung <br>
des Artikels VII heraus und zu praktischen Entschlüssen zu bringen.  
des Artikels VII heraus und zu praktischen Entschlüssen zu bringen. <br>
Aber die Österreicher werden immer Österreicher bleiben. Hochmut  
Aber die Österreicher werden immer Österreicher bleiben. Hochmut <br>
und Leichtsinn gepaart sind nicht leicht und nicht schnell zu über-  
und Leichtsinn gepaart sind nicht leicht und nicht schnell zu über- <br>
winden! Ich kenne sie genau. Sie haben mein heutiges Telegramm<sup>3</sup>  
winden! Ich kenne sie genau. Sie haben mein heutiges Telegramm<sup>3</sup> <br>
erhalten, wonach Avarna hier erklärt hat, die italienische Regierung  
erhalten, wonach Avarna hier erklärt hat, die italienische Regierung <br>
werde in dem eventuellen bewaffneten Konflikte zwischen der  
werde in dem eventuellen bewaffneten Konflikte zwischen der <br>
Monarchie und Serbien eine freundschaftliche und den Bündnispflich-  
Monarchie und Serbien eine freundschaftliche und den Bündnispflich- <br>
ten entsprechende<sup>4</sup> Haltung einnehmen. Avarna hat mir das heute  
ten entsprechende<sup>4</sup> Haltung einnehmen. Avarna hat mir das heute <br>
selbst bestätigt und mich versichert, Italien denke nicht daran, vom  
selbst bestätigt und mich versichert, Italien denke nicht daran, vom <br>
Dreibund abzuspringen. Ich habe dieses Thema — auch wegen der  
Dreibund abzuspringen. Ich habe dieses Thema — auch wegen der <br>
Kompensationen — wiederholt und eingehend ganz vertraulich mit  
Kompensationen — wiederholt und eingehend ganz vertraulich mit <br>
meinem guten Freunde Avarna durchgesprochen, der ja von San Giuliano  
meinem guten Freunde Avarna durchgesprochen, der ja von San Giuliano <br>
über alle Gespräche mit Flotow auf dem laufenden erhalten wird.  
über alle Gespräche mit Flotow auf dem laufenden erhalten wird. <br>
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren — und ich habe Grund  
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren — und ich habe Grund <br>
zu der Annahme, daß Avama den gleichen Eindruck hat — daß  
zu der Annahme, daß Avama den gleichen Eindruck hat — daß <br>
San Giuliano durch die Sprache, die er Flotow und Berlin gegenüber  
San Giuliano durch die Sprache, die er Flotow und Berlin gegenüber <br>
führt, versucht, auf dem Wege über Berlin seine neutrale Haltung  
führt, versucht, auf dem Wege über Berlin seine neutrale Haltung <br>
im österreichisch -serbischen Konflikte möglichst teuer zu verwerten.  
im österreichisch-serbischen Konflikte möglichst teuer zu verwerten. <br>
Das, was Avama aus Rom erhält, klingt immer viel ruhiger als das,  
Das, was Avama aus Rom erhält, klingt immer viel ruhiger als das, <br>
was uns gesagt wird, und die letzte, oben angeführte Erklärung des  
was uns gesagt wird, und die letzte, oben angeführte Erklärung des <br>
römischen Kabinetts ist ein neuer Beweis dafür. So ist es zu er-  
römischen Kabinetts ist ein neuer Beweis dafür. So ist es zu er- <br>
klären, daß man in Berlin über die günstige<sup>5</sup> Haltung Italiens über-  
klären, daß man in Berlin über die günstige<sup>5</sup> Haltung Italiens über- <br>
rascht ist.  
rascht ist. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Das hindert nun allerdings keineswegs, daß mit allen Mitteln, <br>
besonders auch in unserem Interesse, dahin gearbeitet werden muß, <br>
endlich in der Kompensationsfrage zu einem praktisch gangbaren <br>
Auswege zu gelangen. Ich habe gestern auf Grund des Telegramms <br>
Nr. 136<sup>6</sup> zunächst Baron Macchio bearbeitet, um auch durch diesen <br>
auf Berchtold zu wirken. Ich habe ihm vorgehalten, daß es San <br>
Giuliano nicht zu verdenken sei, wenn er sich mit der österreichischen <br>
Erklärung, keinen Gebietszuwachs zu beabsichtigen, nicht beruhigt, <br>
da diese in nicht bindender Weise erfolgt sei. Österreich solle end- <br>
lich den theoretischen Streit über die Auslegung des Artikels VII <br>
fallen lassen. Übrigens gäbe ich ihm zu bedenken, daß Deutschland <br>
nicht die hiesige Auffassung teile. Es müßten praktische Entschlüsse <br>
gefaßt werden, denn man kann doch hier nicht im Zweifel sein, daß <br>
Italien gegebenenfalls sicher mit Kompensationsforderungen kommen <br>
werde, wenn man auch hier theoretisch deren ernstliche Begründung <br>
leugne. Baron Macchio war auch so weit zuzugeben, daß die Er- <br>
örterungen über die Auslegung des Artikels VII zu nichts führen. <br>
Auch darüber sei er sich klar, daß Österreich Kompensationen an <br>
Italien werde geben müssen, wenn es selbst sein Gebiet erweitere. <br>
»Nur können die Italiener nicht verlangen, daß wir die Kompensationen <br>
aus unserem eigenen Fleische schneiden« fügte er hinzu. Das Trentino <br>
wird der alte Kaiser — und auch die Militärs — wohl niemals her- <br>
geben. Eine Möglichkeit könnte ich mir nur nach einem großen <br>
siegreichen Kriege denken, falls Österreich völlig carte blanche am <br>
Balkan erhalten sollte. Wenn die Italiener glauben, das Trento <br>
gegen eine kleine Gebietserweiterung Österreichs am Balkan einzu- <br>
tauschen, und womöglich noch Valona — das sie ja allerdings, wie <br>
ich glaube, ehrlich rücht gern haben wollen — zu bekommen, so <br>
täuschen sie sich, und wir sollten, wie mir scheint, diese Illusionen <br>
in Rom zerstören. Stolberg, den ich in der Kompensationsfrage <br>
auch bei Hoyos vorgeschickt habe, der zur Zeit den größten Einfluß bei <br>
Berchtold bat, hat aus seinen Besprechungen ganz den gleichen Ein- <br>
druck erhalten. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Ich habe, wie Sie aus meinem heutigen Telegramm<sup>7</sup> ersehen <br>
haben, heute auch mit Berchtold und General von Conrad diese <br>
Frage besprochen, und meine sehr bestimmte Erklärung, daß man in <br>
der Auslegungsfrage Deutschland hier nicht auf seiner Seite habe, <br>
machte besonders auf Conrad ernsten Eindruck. Das Schlimme ist, daß <br>
die hiesige Lesart betreffend Artikel VII noch vom sogenannten »großen« <br>
Aehrenthal herstammt, der ganze Bände von Rechtsgutachten zu <br>
ihrer Begründung hat verfassen lassen<sup>8</sup>, und Berchtold sich scheut, <br>
dieses »Vermächtnis« seines berühmten Vorgängers preiszugeben. <br>
Conrad, der solche Skrupel nicht hat, sah auch ein, daß man den <br>
Italienern etwas geben müsse, und er bemerkte ganz vertraulich, er <br>
habe nichts dagegen, wenn man die Italiener einlüde, Montenegro zu <br>
besetzen. Ich habe diese Bemerkung in mein amtliches Telegramm <br>
nicht aufgenommen, weil sie ihm so in der Unterhaltung entfuhr, <br>
und er wohl nicht darauf festgenagelt zu werden wünschte. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Sowohl Maccliio als Berchtold und Conrad habe ich als rein <br>
persönhche Ansicht den Vorschlag gemacht, sie sollten Italien gegen- <br>
über erklären — und zwar ohne Berufung auf Artikel VII, um ihren <br>
theoretischen Standpunkt nicht aufgeben zu müssen — daß Öster- <br>
reich das Recht Italiens auf Kompensationen für den Fall anerkenne, <br>
daß die Monarchie ihr Gebiet am Balkan erweitere. Auch Avama <br>
fand diesen Ausweg gut. Mehr kann Italien nicht verlangen, denn <br>
im Dreibundvertrag steht meines Wissens nichts darüber, wo diese <br>
Kompensationen liegen sollen oder wie groß sie sein müssen. Das <br>
müssen die Verhandlungen dann ergeben. Übrigens hat Avarna <br>
jetzt Instruktion, mit Berchtold die Kompensationsfrage direkt zu <br>
besprechen. Ich würde es für sehr nützlich halten, wenn Österreich <br>
schon vorher obige Erklärung abgeben würde, denn auch in Rom <br>
scheut man sich vor direkten Verhandlungen, weil man eine Einigung <br>
in der Frage der Auslegung des Artikels VII für ausgeschlossen hält <br>
und nur Verschärfung der Reibungen erwartet. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;28. Juli. Ich habe gestern erneut 1<sup>1</sup>/<sub>2</sub> stündige Unterredung <br>
mit Graf Berchtold und Graf Forgách über die Frage gehabt, wobei <br>
ich so entschieden gesprochen habe, wie es überhaupt nur möglich <br>
ist. Zum Schlüsse rief Graf Berchtold aus: »Ich sehe die Situation <br>
ganz klar, ich bin Shylock, der auf seinem Schein besteht und doch <br>
nichts ausrichtet«. Ich glaube in dieser Unterredung erreicht zu <br>
haben, daß man hier jetzt die Initiative zu einer Besprechung mit <br>
Italien ergreifen wird. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Als ich nach Hause kam, besuchte mich Avarna. Dieser machte <br>
mir, unter Berufung auf unsere persönliche Freundschaft und mit <br>
der d r i n g e n d e n &nbsp; B i t t e &nbsp; i h n &nbsp; n i c h t &nbsp; z u &nbsp; v e r r a t e n, nachstehende <br>
Mitteilung. Er habe die Instruktion erhalten gehabt, die Kom- <br>
pensationsfrage hier zur Sprache zu bringen, sei aber heute ange- <br>
wiesen worden, dies nicht zu tun, weil man in Rom dadurch lediglich <br>
Reibungen befürchte, die man vermeiden wolle. Gleichzeitig hat er <br>
durch San Giuliano ein Telegramm an Bollati zur Kenntnis erhalten, <br>
worin dieser beauftragt wird, in Berlin darauf zu dringen, daß die <br>
Kompensationsfrage in Wien durch uns betrieben werde. — Ich habe <br>
Avarna gesagt, daß ich auf Befehl meiner Regierung mit allen <br>
möglichen Mitteln die Lösung der Frage in italienischem Sinne hier <br>
betriebe. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Heute frühstückten Graf Berchtold und Graf Forgách bei mir. <br>
Letzterer sagte mir, nach meiner gestrigen Unterredung mit Graf <br>
Berchtold und ihm sei beschlossen worden, unseren Vorstellungen <br>
Rechnung zu tragen<sup>9</sup>. Inzwischen habe eine Unterredung zwischen <br>
Ew. Exz. und Graf Szögyény stattgefunden, in welcher Ew. Exz. <br>
einen inhaltlich ganz gleichen Vorschlag für eine hier abzugebende <br>
Erklärung gemacht hätten wie ich neulich<sup>10</sup>. Man habe diesen <br>
Vorschlag nunmehr angenommen. Am heutigen Nachmittag las mir <br>
Graf Forgách den Erlaß vor, den er in dieser Sache an Graf Szögyény <br>
richtet, und der den ganzen Hergang der Verhandlungen eingehend <br>
schildert. Graf Szögyény wird diesen Erlaß Ihnen vorlesen. Hoffent- <br>
lich wird die hiesige Erklärung nun den Italienern genügen ! — Wie <br>
mir Graf Forgäch sagte, hat sich Herr von Merey bis zum letzten <br>
Moment gegen jedes Eingehen auf die italienischen Forderungen <br>
gewehrt<sup>11</sup>, die er als chantage bezeichne. — Die Hauptsache ist, <br>
daß die Sache mit einer Überklebung des Risses zwischen Wien und <br>
Rom durch uns für jetzt beigelegt ist — hoffentlich wenigstens — <br>
und daß der Dreibund intakt dasteht. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Verzeihen Sie die Länge dieses Schreibens. Es war nicht in <br>
diesem Ausmaße intentioniert ; es hat sich »historisch« in die Länge <br>
gezogen.&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; Mit herzlichen Grüßen <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;stets Ihr aufrichtigst ergebener <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;v o n &nbsp; T s c h i r s c h k y <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Das hindert nun allerdings keineswegs, daß mit allen Mitteln,
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Graf Berchtold ist in sehr guter Stimmung und stolz auf die <br>
besonders auch in unserem Interesse, dahin gearbeitet werden muß,
zahlreichen Glückwunsch -Telegramme, die ihm aus allen Teilen <br>
endlich in der Kompensationsfrage zu einem praktisch gangbaren
D e u t s c h l a n d s zugehen !<br>
Auswege zu gelangen. Ich habe gestern auf Grund des Telegramms
Nr. 136<sup>6</sup> zunächst Baron Macchio bearbeitet, um auch durch diesen
auf Berchtold zu wirken. Ich habe ihm vorgehalten, daß es San
Giuliano nicht zu verdenken sei, wenn er sich mit der österreichischen
Erklärung, keinen Gebietszuwachs zu beabsichtigen, nicht beruhigt,
da diese in nicht bindender Weise erfolgt sei. Österreich solle end-
lich den theoretischen Streit über die Auslegung des Artikels VII
fallen lassen. Übrigens gäbe ich ihm zu bedenken, daß Deutsrhland
nicht die hiesige Auffassung teile. Es müßten praktische Entschlüsse
gefaßt werden, denn man kann doch hier nicht im Zweifel sein, daß
Italien gegebenenfalls sicher mit Kompensationsforderungen kommen
werde, wenn man auch hier theoretisch deren ernsthche Begründung
leugne. Baron Macchio war auch so weit zuzugeben, daß die Er-
örterungen über die Auslegung des Artikels VII zu nichts führen.
Auch darüber sei er sich klar, daß Österreich Kompensationen an
Italien werde geben müssen, wenn es selbst sein Gebiet erweitere.
»Nur können die Italiener nicht verlangen, daß wir die Kompensationen
aus unserem eigenen Fleische schneident fügte er hinzu. Das Trentino
wird der alte Kaiser — und auch die Militärs — wohl niemals her-
geben. Eine Möglichkeit könnte ich mir nur nach einem großen
siegreichen Kriege denken, falls Österreich völlig carte blanche am
Balkan erhalten sollte. Wenn die Italiener glauben, das Trento
gegen eine kleine Gebietserweiterung Österreichs am Balkan einzu-
tauschen, und womöglich noch Valona — das sie ja allerdings, wie
ich glaube, ehrlich rücht gern haben woUen — zu bekommen, so
täuschen sie sich, und wir sollten, wie mir scheint, diese Illusionen
in Rom zerstören. Stolberg, den ich in der Kompensationsfrage
auch bei Hoyos vorgeschickt habe, der zur Zeit den größten Einfluß bei
Berchtold bat, hat aus seinen Besprechungen ganz den gleichen Ein-
druck erhalten.
 
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Ich habe, wie Sie aus meinem heutigen Telegramm<sup>7</sup> ersehen
haben, heute auch mit Berchtold und General von Conrad diese
Frage besprochen, und meine sehr bestimmte Erklärung, daß man in
der Auslegungsfrage Deutschland hier nicht auf seiner Seite habe,
machte besonders auf Conrad ernsten Eindruck. Das Schlimme ist, daß
die hiesige Lesart betreffend ArtikelVII noch vom sogenannten »großen«
Aehrenthal herstammt, der ganze Bände von Rechtsgutachten zu
ihrer Begründung hat verfassen lassen<sup>8</sup>, und Berchtold sich scheut,
dieses »Vermächtnis« seines berühmten Vorgängers preiszugeben.
Conrad, der solche Skrupel nicht hat, sah auch ein, daß man den
Italienern etwas geben müsse, und er bemerkte ganz vertraulich, er
habe nichts dagegen, wenn man die Italiener einlüde, Montenegro zu
besetzen. Ich habe diese Bemerkung in mein amtliches Telegramm
nicht aufgenommen, weil sie ihm so in der Unterhaltung entfuhr,
und er wohl nicht darauf festgenagelt zu werden wünschte.
 
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Sowohl Maccliio als Berchtold und Conrad habe ich als rein
persönhche Ansicht den Vorschlag gemacht, sie sollten Italien gegen-
über erklären — und zwar ohne Berufung auf Artikel VII, um iliren
theoretischen Standpunkt nicht aufgeben zu müssen — daß Öster-
reich das Recht Italiens auf Kompensationen für den Fall anerkenne,
daß die Monarchie ihr Gebiet am Balkan erweitere. Auch Avama
fand diesen Ausweg gut. Mehr kann Italien nicht verlangen, denn
im Dreibundvertrag steht meines Wissens nichts darüber, wo diese
Kompensationen liegen sollen oder wie groß sie sein müssen. Das
müssen die Verhandlungen dann ergeben. Übrigens hat Avarna
jetzt Instruktion, mit Berchtold die Kompensationsfrage direkt zu
besprechen. Ich würde es für sehr nützhch halten, wenn Österreich
schon vorher obige Erklärung abgeben würde, denn auch in Rom
scheut man sich vor direkten Verhandlungen, weil man eine Einigung
in der Frage der Auslegung des Artikels VII für ausgeschlossen hält
und nur Verschärfung der Reibungen erwartet.
 
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;28. Juli. Ich habe gestern erneut 1<sup>1</sup>/<sub>2</sub> stündige Unterredung
mit Graf Berchtold und Graf Forgäch über die Frage gehabt, wobei
ich so entschieden gesprochen habe, wie es überhaupt nur möglich
ist. Zum Schlüsse rief Graf Berchtold aus: »Ich sehe die Situation
ganz klar, ich bin Shylock, der auf seinem ScJiein besteht und doch
nichts ausrichtet«. Ich glaube in dieser Unter.edung erreicht zu
haben, daß man hier jetzt die Initiative zu einer Besprechung mit
Italien ergreifen wird.
 
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Als ich nach Hause kam, besuchte mich Avarna. Dieser machte
mir, unter Berufung auf unsere persönliche Freundschaft und mit
der dringenden Bitte ihn nicht zu verraten, nachstehende
Mitteilung. Er habe die Instruktion erhalten gehabt, die Kom-
pensationsfrage hier zur Sprache zu bringen, sei aber heute ange-
wiesen worden, dies nicht zu tun, weii man in Rom dadurch ledigUch
Reibungen befürchte, die man vermeidt-n wolle. Gleichzeitig hat er
durch San Giuliano ein Telegramm an BoUati zur Kenntnis erhalten,
worin dieser beauftragt wird, in Berlin darauf zu dringen, daß die
Kompensationsfrage in Wien durch uns betrieben werde. — Ich habe
Avarna gesagt, daß ich auf Befehl meiner Regierung mit allen
möglichen Mitteln die Lösung der Frage in italienischem Sinne hier
betriebe.
 
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Heute frühstückten Graf Berchtold und Graf Forgäch bei mir.
Letzterer sagte mir, nach meiner gestrigen Unterredung mit Graf
Berchtold und ihm sei beschlossen worden, unseren Vorstellungen
Rechnung zu tragen<sup>9</sup>. Inzwisch- n habe eine Unterredung zwischen
Ew. Exz. und Graf Szögyeny stattgefunden, in welcher Ew. Exz.
einen inhalthch ganz gleichen Vorschlag für eine hier abzugebende
Erklärung gemacht hätten wie ich neulich<sup>10</sup>. Man habe diesen
Vorschlag nunmehr angenommsfu- Am heutigen Nachmittag las mir
Graf Forgäch den Erlaß vor, den er in die>er Sache an Graf Szögyeny
richtet, und der den ganzen Hergang der Verhandlungen eingehend
schildert. Graf Szögyeny wird diesen Erlaß Ihnen vorlesen. Hoffent-
lich wird die hiesige Erklärung nun den Italienern genügen ! — Wie
mir Graf Forgäch sagte, hat sich Herr von Merey bis zum letzten
Moment gegen jedes Eingehen auf die italienischen Forderungen
gewehrt<sup>11</sup>, die er als chantage bezeichne. — Die Hauptsache ist,
daß die Sache mit einer Überklebung des Risses zwischen Wien und
Rom durch uns für jetzt beigelegt ist — hoffentlich wenigstens —
und daß der Dreibund intakt dasteht.
 
 
 
 
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Verzeihen Sie die Länge dieses Schreibens. Es war nicht in
diesem Ausmaße mtentioniert ; es hat sich »historisch« in die Länge
gezogen. Mit herzlichen Grüßen
 
stets Ihr aufrichtigst ergebener
v o n &nbsp; T s c h i r s c h k y
 
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Graf Berchtold ist in sehr guter Stimmung und stolz auf die  
zahlreichen Glückwunsch -Telegramme, die ihm aus allen Teilen  
D e u t s c h l a n d s zugehen I


<hr>
<hr>
<sup>1</sup> Nach der Ausfertigung von Tschirschkys Hand.  
<sup>1</sup> Nach der Ausfertigung von Tschirschkys Hand. <br>
<sup>2</sup> Zeit des Eingangs in Berlin nicht bekannt, zum Zentralbüro des Aus-  
<sup>2</sup> Zeit des Eingangs in Berlin nicht bekannt, zum Zentralbüro des Aus- <br>
wärtigen Amis gelangt erst am 9. Februar 1915.  
wärtigen Amis gelangt erst am 9. Februar 1915. <br>
<sup>3</sup> Siehe Nr. 212.  
<sup>3</sup> Siehe [[Nr. 212. Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt, 26. Juli 1914|Nr. 212]]. <br>
<sup>4</sup> Am Rand Fragezeichen Jagows.  
<sup>4</sup> Am Rand Fragezeichen Jagows. <br>
<sup>5</sup> Desgleichen.  
<sup>5</sup> Desgleichen. <br>
<sup>6</sup> Siehe Nr. 150.  
<sup>6</sup> Siehe [[Nr. 150. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Wien, 24. Juli 1914|Nr. 150]]. <br>
<sup>7</sup> Siehe Nr. 212.  
<sup>7</sup> Siehe [[Nr. 212. Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt, 26. Juli 1914|Nr. 212]]. <br>
<sup>8</sup> Am Rand Ausrutungszeichen Jagows.  
<sup>8</sup> Am Rand Ausrutungszeichen Jagows. <br>
<sup>9</sup> Siehe Nr. 328.  
<sup>9</sup> Siehe [[Nr. 328 Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt, 29. Juli 1914|Nr. 328]]. <br>
<sup>10</sup> Dazu die Randbemerkung Jagows: »Unsinn!«  
<sup>10</sup> Dazu die Randbemerkung Jagows: »Unsinn!« <br>
<sup>11</sup> Am Rand Jagow: »na ja!«
<sup>11</sup> Am Rand Jagow: »na ja!«<br>

Latest revision as of 21:53, 4 August 2015

WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 2 > Nr. 326.


Nr. 326
Der Botschafter in Wien an den Staatssekretär des Auswärtigen (Privatbrief)1


Geheim!                                              Wien, den 26. Juli 19142

                         Lieber Herr v. Jagow !
     Besten Dank für Ihr freundliches Schreiben von gestern, betreffend die
italienische Kompensationsfrage. Ich kann Sie versichern, daß niemand
mehr als ich von der absoluten Notwendigkeit überzeugt ist, Italien
fest beim Dreibund zu halten, und daß ich mit Beharrlichkeit und
äußerster Festigkeit alles nur Mögliche tue, um die Leute hier zu
bewegen, aus ihrem unnützen Streit mit Italien über die Auslegung
des Artikels VII heraus und zu praktischen Entschlüssen zu bringen.
Aber die Österreicher werden immer Österreicher bleiben. Hochmut
und Leichtsinn gepaart sind nicht leicht und nicht schnell zu über-
winden! Ich kenne sie genau. Sie haben mein heutiges Telegramm3
erhalten, wonach Avarna hier erklärt hat, die italienische Regierung
werde in dem eventuellen bewaffneten Konflikte zwischen der
Monarchie und Serbien eine freundschaftliche und den Bündnispflich-
ten entsprechende4 Haltung einnehmen. Avarna hat mir das heute
selbst bestätigt und mich versichert, Italien denke nicht daran, vom
Dreibund abzuspringen. Ich habe dieses Thema — auch wegen der
Kompensationen — wiederholt und eingehend ganz vertraulich mit
meinem guten Freunde Avarna durchgesprochen, der ja von San Giuliano
über alle Gespräche mit Flotow auf dem laufenden erhalten wird.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren — und ich habe Grund
zu der Annahme, daß Avama den gleichen Eindruck hat — daß
San Giuliano durch die Sprache, die er Flotow und Berlin gegenüber
führt, versucht, auf dem Wege über Berlin seine neutrale Haltung
im österreichisch-serbischen Konflikte möglichst teuer zu verwerten.
Das, was Avama aus Rom erhält, klingt immer viel ruhiger als das,
was uns gesagt wird, und die letzte, oben angeführte Erklärung des
römischen Kabinetts ist ein neuer Beweis dafür. So ist es zu er-
klären, daß man in Berlin über die günstige5 Haltung Italiens über-
rascht ist.
     Das hindert nun allerdings keineswegs, daß mit allen Mitteln,
besonders auch in unserem Interesse, dahin gearbeitet werden muß,
endlich in der Kompensationsfrage zu einem praktisch gangbaren
Auswege zu gelangen. Ich habe gestern auf Grund des Telegramms
Nr. 1366 zunächst Baron Macchio bearbeitet, um auch durch diesen
auf Berchtold zu wirken. Ich habe ihm vorgehalten, daß es San
Giuliano nicht zu verdenken sei, wenn er sich mit der österreichischen
Erklärung, keinen Gebietszuwachs zu beabsichtigen, nicht beruhigt,
da diese in nicht bindender Weise erfolgt sei. Österreich solle end-
lich den theoretischen Streit über die Auslegung des Artikels VII
fallen lassen. Übrigens gäbe ich ihm zu bedenken, daß Deutschland
nicht die hiesige Auffassung teile. Es müßten praktische Entschlüsse
gefaßt werden, denn man kann doch hier nicht im Zweifel sein, daß
Italien gegebenenfalls sicher mit Kompensationsforderungen kommen
werde, wenn man auch hier theoretisch deren ernstliche Begründung
leugne. Baron Macchio war auch so weit zuzugeben, daß die Er-
örterungen über die Auslegung des Artikels VII zu nichts führen.
Auch darüber sei er sich klar, daß Österreich Kompensationen an
Italien werde geben müssen, wenn es selbst sein Gebiet erweitere.
»Nur können die Italiener nicht verlangen, daß wir die Kompensationen
aus unserem eigenen Fleische schneiden« fügte er hinzu. Das Trentino
wird der alte Kaiser — und auch die Militärs — wohl niemals her-
geben. Eine Möglichkeit könnte ich mir nur nach einem großen
siegreichen Kriege denken, falls Österreich völlig carte blanche am
Balkan erhalten sollte. Wenn die Italiener glauben, das Trento
gegen eine kleine Gebietserweiterung Österreichs am Balkan einzu-
tauschen, und womöglich noch Valona — das sie ja allerdings, wie
ich glaube, ehrlich rücht gern haben wollen — zu bekommen, so
täuschen sie sich, und wir sollten, wie mir scheint, diese Illusionen
in Rom zerstören. Stolberg, den ich in der Kompensationsfrage
auch bei Hoyos vorgeschickt habe, der zur Zeit den größten Einfluß bei
Berchtold bat, hat aus seinen Besprechungen ganz den gleichen Ein-
druck erhalten.
     Ich habe, wie Sie aus meinem heutigen Telegramm7 ersehen
haben, heute auch mit Berchtold und General von Conrad diese
Frage besprochen, und meine sehr bestimmte Erklärung, daß man in
der Auslegungsfrage Deutschland hier nicht auf seiner Seite habe,
machte besonders auf Conrad ernsten Eindruck. Das Schlimme ist, daß
die hiesige Lesart betreffend Artikel VII noch vom sogenannten »großen« 
Aehrenthal herstammt, der ganze Bände von Rechtsgutachten zu
ihrer Begründung hat verfassen lassen8, und Berchtold sich scheut,
dieses »Vermächtnis« seines berühmten Vorgängers preiszugeben.
Conrad, der solche Skrupel nicht hat, sah auch ein, daß man den
Italienern etwas geben müsse, und er bemerkte ganz vertraulich, er
habe nichts dagegen, wenn man die Italiener einlüde, Montenegro zu
besetzen. Ich habe diese Bemerkung in mein amtliches Telegramm
nicht aufgenommen, weil sie ihm so in der Unterhaltung entfuhr,
und er wohl nicht darauf festgenagelt zu werden wünschte.
     Sowohl Maccliio als Berchtold und Conrad habe ich als rein
persönhche Ansicht den Vorschlag gemacht, sie sollten Italien gegen-
über erklären — und zwar ohne Berufung auf Artikel VII, um ihren
theoretischen Standpunkt nicht aufgeben zu müssen — daß Öster-
reich das Recht Italiens auf Kompensationen für den Fall anerkenne,
daß die Monarchie ihr Gebiet am Balkan erweitere. Auch Avama
fand diesen Ausweg gut. Mehr kann Italien nicht verlangen, denn
im Dreibundvertrag steht meines Wissens nichts darüber, wo diese
Kompensationen liegen sollen oder wie groß sie sein müssen. Das
müssen die Verhandlungen dann ergeben. Übrigens hat Avarna
jetzt Instruktion, mit Berchtold die Kompensationsfrage direkt zu
besprechen. Ich würde es für sehr nützlich halten, wenn Österreich
schon vorher obige Erklärung abgeben würde, denn auch in Rom
scheut man sich vor direkten Verhandlungen, weil man eine Einigung
in der Frage der Auslegung des Artikels VII für ausgeschlossen hält
und nur Verschärfung der Reibungen erwartet.
     28. Juli. Ich habe gestern erneut 11/2 stündige Unterredung
mit Graf Berchtold und Graf Forgách über die Frage gehabt, wobei
ich so entschieden gesprochen habe, wie es überhaupt nur möglich
ist. Zum Schlüsse rief Graf Berchtold aus: »Ich sehe die Situation
ganz klar, ich bin Shylock, der auf seinem Schein besteht und doch
nichts ausrichtet«. Ich glaube in dieser Unterredung erreicht zu
haben, daß man hier jetzt die Initiative zu einer Besprechung mit
Italien ergreifen wird.
     Als ich nach Hause kam, besuchte mich Avarna. Dieser machte
mir, unter Berufung auf unsere persönliche Freundschaft und mit
der d r i n g e n d e n   B i t t e   i h n   n i c h t   z u   v e r r a t e n, nachstehende
Mitteilung. Er habe die Instruktion erhalten gehabt, die Kom-
pensationsfrage hier zur Sprache zu bringen, sei aber heute ange-
wiesen worden, dies nicht zu tun, weil man in Rom dadurch lediglich
Reibungen befürchte, die man vermeiden wolle. Gleichzeitig hat er
durch San Giuliano ein Telegramm an Bollati zur Kenntnis erhalten,
worin dieser beauftragt wird, in Berlin darauf zu dringen, daß die
Kompensationsfrage in Wien durch uns betrieben werde. — Ich habe
Avarna gesagt, daß ich auf Befehl meiner Regierung mit allen
möglichen Mitteln die Lösung der Frage in italienischem Sinne hier
betriebe.
     Heute frühstückten Graf Berchtold und Graf Forgách bei mir.
Letzterer sagte mir, nach meiner gestrigen Unterredung mit Graf
Berchtold und ihm sei beschlossen worden, unseren Vorstellungen
Rechnung zu tragen9. Inzwischen habe eine Unterredung zwischen
Ew. Exz. und Graf Szögyény stattgefunden, in welcher Ew. Exz.
einen inhaltlich ganz gleichen Vorschlag für eine hier abzugebende
Erklärung gemacht hätten wie ich neulich10. Man habe diesen
Vorschlag nunmehr angenommen. Am heutigen Nachmittag las mir
Graf Forgách den Erlaß vor, den er in dieser Sache an Graf Szögyény
richtet, und der den ganzen Hergang der Verhandlungen eingehend
schildert. Graf Szögyény wird diesen Erlaß Ihnen vorlesen. Hoffent-
lich wird die hiesige Erklärung nun den Italienern genügen ! — Wie
mir Graf Forgäch sagte, hat sich Herr von Merey bis zum letzten
Moment gegen jedes Eingehen auf die italienischen Forderungen
gewehrt11, die er als chantage bezeichne. — Die Hauptsache ist,
daß die Sache mit einer Überklebung des Risses zwischen Wien und
Rom durch uns für jetzt beigelegt ist — hoffentlich wenigstens —
und daß der Dreibund intakt dasteht.
     Verzeihen Sie die Länge dieses Schreibens. Es war nicht in
diesem Ausmaße intentioniert ; es hat sich »historisch« in die Länge
gezogen.                                    Mit herzlichen Grüßen
                                             stets Ihr aufrichtigst ergebener
                                                  v o n   T s c h i r s c h k y

     Graf Berchtold ist in sehr guter Stimmung und stolz auf die
zahlreichen Glückwunsch -Telegramme, die ihm aus allen Teilen
D e u t s c h l a n d s zugehen !


1 Nach der Ausfertigung von Tschirschkys Hand.
2 Zeit des Eingangs in Berlin nicht bekannt, zum Zentralbüro des Aus-
wärtigen Amis gelangt erst am 9. Februar 1915.
3 Siehe Nr. 212.
4 Am Rand Fragezeichen Jagows.
5 Desgleichen.
6 Siehe Nr. 150.
7 Siehe Nr. 212.
8 Am Rand Ausrutungszeichen Jagows.
9 Siehe Nr. 328.
10 Dazu die Randbemerkung Jagows: »Unsinn!« 
11 Am Rand Jagow: »na ja!«