Nr. 34 Der Gesandte in Berlin an den Vorsitzenden im Ministerrat

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WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 4 > Anhang IV. > Nr. 34


Nr. 34
Der Gesandte in Berlin an den Vorsitzenden im Ministerrat


Bericht 431                                    Berlin, den 5. August 1914

     Nachdem der Reichskanzler in der Reichstagssitzung von 3 Uhr
unsere Haltung Belgien gegenüber angekündigt hatte, erschien der
englische Botschafter im Reichstagsgebäude, um Staatssekretär Jagow
mitzuteilen, daß England den Bruch der belgischen Neutralität nicht
hinnehmen könne. Herr von Jagow setzte Sir Edward Goschen aus-
einander, daß die militärischen Erwägungen es Deutschland unmög-
lich machten, dem Verlangen Englands zu entsprechen, und gab im
übrigen die Zusicherung, daß Deutschland den Bestand Belgiens
nicht antasten wolle. Eine Stunde später erschien der Botschafter
im Auswärtigen Amt, um seine Pässe zu verlangen.1 Der Bruch
mit England ist sonach Tatsache. Die Rede Greys hatte übrigens
über die Absichten Englands keinen Zweifel mehr gelassen.
     Diese Vorgänge hat bedauerlicherweise das »Berliner Tageblatt« 
durch ein Extrablatt bekanntgemacht. Die Volksmenge, die jetzt
jeden Abend Unter den Linden versammelt ist, und gestern wegen
der Abreise des französischen Botschafters auch den Pariser Platz
dicht besetzt hatte, zog jetzt vor die Englische Botschaft, um zu
demonstrieren, schlug dort alle Fenster ein und wollte das Haus
stürmen. Dies wurde noch rechtzeitig von rasch herbeigeholten
Polizeimannschaften verhindert. Daß der Tumult nicht bei Beginn
unterdrückt werden konnte, lag daran, daß die Polizei vor der
Englischen Botschaft anfänglich nur wenig Mannschaft versammelt
hatte, da sie dort auf Unruhen nicht gefaßt war. Der Pariser Platz
vor der Französischen Botschaft war gut besetzt. Dort sind bei
der Abreise des Botschafters keine Ausschreitungen vorgekommen.
     Als das Auswärtige Amt von dem Tumult vor der Englischen
Botschaft erfuhr, eilte Herr von Jagow sofort dorthin, um dem
Botschafter Entschuldigungen zu machen. Daß die Mitglieder der
Botschaft eine provozierende Haltung eingenommen hätten, wie
einzelne Zeitungen melden, ist nicht richtig.
     Über den Einmarsch in Belgien ist hier keine Nachricht be-
kanntgegeben worden. Ohne Zweifel wird aber auch der belgische
Gesandte seine Pässe verlangen und erhalten.
     Holland hat, wie ich schon gemeldet, auf die deutscherseits
gegebene Zusicherung der Achtung seiner Neutralität seinerseits
Neutralität zugesichert. Auch Dänemark hat sich neutral erklärt.
     Im übrigen habe ich im Auswärtigen Amt noch folgendes
erfahren : Der österreichische Aufmarsch an der russischen Grenze ist
nahezu vollendet. Man erwartet die österreichische Kriegserklärung
an Rußland für heute. Österreich hat hier mitgeteilt, daß es jedem
russischen Angriff an seiner Grenze völlig gewachsen und sogar
numerisch der gegen Galizien versammelten Armee überlegen sei.
     Die Frage, ob Österreich auch Frankreich und England den
Krieg erklären soll, wird noch erwogen.
     Militärisch scheint sie von keiner Bedeutung. Unangenehm
wäre nur das Verbleiben der Vertretungen dieser Staaten in Wien.
     Was die gestern schon angekündigte deutschlandfreundliche
Haltung Bulgariens und der Türkei2 betrifft, so sagte man mir heute,
daß die Verhandlungen hierüber noch nicht abgeschlossen seien.
     Dieser Bericht sowie alle künftigen schriftlichen Mitteilungen
werden Ew. Exz. erst 47 Stunden nach der Absendung zu-
kommen, da bis auf weiteres nur ein einziger Zug, und zwar um
8 Uhr 57 Min. abends, nach München abgelassen wird, der am über-
nächsten Tag um 7 Uhr 28 Min. abends dort ankommt.

                                        Ew. Exz. ganz gehorsamer

                                                            G.  H.  L e r c h e n f e l d


1 Telephonisch schon am 4. August nachm. mitgeteilt.
2 Siehe Nr. 33.