View source for Nr. 352 Die österreichisch-ungarische Botschaft an das Auswärtige, 29. Juli 1914

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<center>Nr. 352</center>

<center><font size=4>'''Die österreichisch -ungarische Botschaft an das Auswärtige Amt<sup>1</sup>'''</font></center><br>

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&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Obwohl Herr Sasonow ebenso wie der russische Kriegs- <br>
minister unter Ehrenwort versichert hat, daß eine Mobilisierung <br>
in Rußland bisher nicht angeordnet wurde, trifft Rußland dennoch <br>
nach übereinstimmenden Nachrichten aus Petersburg, Kiew, War- <br>
schau, Moskau und Odessa umfangreiche militärische Vorberei- <br>
tungen. Auch hat der russische Kriegsminister dem k. deut- <br>
schen Militärattaché gegenüber bemerkt, daß die gegen Öster- <br>
reich-Ungarn gelegenen russischen Militärbezirke (Kiew, Odessa, <br>
Moskau und Kasan) in dem Falle mobilisiert werden würden, als <br>
unsere Truppen die serbische Grenze überschritten. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Der Chef des k. und k. Generalstabes hält es nun für unbe- <br>
dingt geboten, ohne Verzug Klarheit darüber zu gewinnen, <br>
ob wir mit starken Kräften gegen Serbien marschieren können <br>
oder unsere Hauptmacht gegen Rußland zu verwenden haben <br>
werden. Die Entscheidung dieser Frage bedingt die ganze Anlage<br> 
des Feldzuges gegen Serbien. Wenn Rußland die erwähnten <br>
militärischen Bezirke tatsächlich mobilisiert, wäre es unerläßlich <br>
(schon mit Rücksicht auf die große Bedeutung des Zeitgewinnes<br> 
für Rußland), daß sowohl Österreich-Ungarn als der ganzen <br>
Situation nach auch Deutschland sofortige weitestgehende <br>
Gegenmaßregeln ergreifen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Baron Conrads Ansicht erscheint Grafen Berchtold höchst <br>
beachtenswert, und derselbe glaubt daher, das Berliner <br>
Kabinett dringend ersuchen zu müssen, dem Gedanken näherzutreten, <br>
ob nicht Rußland in freundschaftlicher Weise aufmerksam gemacht <br>
werden sollte, daß die Mobilisierung obiger Bezirke einer Drohung <br>
gleichkomme und, falls sie zur Tat werde, sowohl seitens der <br>
Monarchie als vom verbündeten Deutschen Reich notwendigerweise <br>
weitestgehende militärische Gegenmaßregeln herausfordere. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Graf Berchtold ist der Ansicht, daß ein solcher Schritt, um <br>
Rußland das eventuelle Einlenken zu erleichtern, vorerst allein von <br>
Deutschland unternommen werden sollte; doch wären wir natürlich <br>
auch bereit, den Schritt zu zweien zu machen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Eine deutliche Sprache erschiene Grafen Berchtold in diesem <br>
Augenblick als das wirksamste Mittel, um Rußland die ganze Trag- <br>
weite eines drohenden Verhaltens zum Bewußtsein zu bringen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Da ferner nach den dem Berliner Kabinett zugekommenen <br>
Nachrichten aus Bukarest in Rumänien günstige Dispositionen be- <br>
stehen, wären dieselben vielleicht zu benützen, um auch von Ru- <br>
mänien her einen Druck auf Rußland auszuüben. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Zu diesem Zweck, meint die k. u. k. Regierung, sollten der <br>
Österreich-ungarische und der k. deutsche Gesandte in Buka- <br>
rest unverzüglich angewiesen werden, an König Carol mit dem Er- <br>
suchen heranzutreten, sei es durch eine von Rumänien auszufüh- <br>
rende Demarche in Petersburg (eventuell auch durch ein geheimes <br>
Telegramm des Königs Carol an Kaiser Nikolaus) oder durch <br>
öffentliche Bekanntgabe des Bündnisses offen zu erklären, daß im <br>
Falle einer europäischen Konflagration Rumänien an der Seite des <br>
Dreibundes gegen Rußland kämpfen wird. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Um ihrem Zweck zu entsprechen, müßte diese Klarstellung bis <br>
spätestens i. August erfolgen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die k. u. k. Regierung glaubt bestimmt annehmen zu dürfen, <br>
daß die maßgebenden Faktoren des Deutschen Reiches angesichts <br>
des für beide Reiche bedrohenden Verhaltens Rußlands diesen <br>
Vorschlägen ihre Zustimmung nicht versagen werden. <br>

<hr>
<sup>1</sup> Nach der Ausfertigung. Ohne Unterschrift. <br>
<sup>2</sup> Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts : 29. Juli nachm. Am Rand ver- <br>
merkt Jagow, daß der Reichskanzler Kenntnis gehabt hat.