Nr. 374 Prinz Heinrich von Preußen an den Kaiser, 29. Juli 1914

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WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 1 > Nr. 374.


Nr. 374
Prinz Heinrich von Preußen an den Kaiser1


                                                       Kiel, den 28. Juli 1914

               Mein lieber Wilhelm!

     Anliegend übersende ich Dir einen Brief von Sophie, den sie
mich bat. Dir mit sehr herzlichen Grüßen zuzustellen; ich traf sie
und Mossy am vergangenen Sonntag bei Zander Münster in Mairs-
field. —
     Als die Pressenachrichten reichlich alarmierend lauteten, und
ich die Bestätigung Deiner Heimreise erlangte, entschloß ich mich
kurzer Hand meinen Aufenthalt in England abzubrechen, um auf
meine hiesige Basis zurückzukehren, auf welcher ich mich, wie Dir
bereits telegraphiert, zu Deiner Verfügung halte, bis die Ereignisse
sich geklärt haben. —
     Vor meiner Abreise von London, und zwar am Sonntag
morgen hatte ich, auf mein Ansuchen, eine kurze Unterredung mit
Georgie, welcher sich über den Ernst der augenblicklichen Lage
vollkommen im Klaren war und versicherte, er und seine Regierung
würden nichts unversucht lassen, um den Kampf zwischen Öster-
reich und Serbien zu lokalisieren, deshalb habe seine Regierung den
Vorschlag gemacht, Deutschland, England, Frankreich und Italien,
wie Du längst weißt, möchten intervenieren, um zu versuchen, Ruß-
land im Zaume zu halten, er hoffe, daß Deutschland in der Lage
sein werde, trotz seines Bündnisverhältnisses zu Österreich, diesem
Vorschlag beizutreten, um den europäischen Krieg zu vermeiden,
dem wir, wie er sagte, näher seien als je zuvor; er sagte weiter
wörtlich "we shall try all we can to keep out of this and shall
remain neutral." — Daß diese Äußerung ernst gemeint war, davon
bin ich überzeugt, ebenso wie davon, daß England anfangs auch
neutral bleiben wird, ob es dies jedoch auf die Dauer wird können,
darüber kann ich nicht urteilen, hege aber meine Bedenken, wegen
des Verhältnisses zu Frankreich. —
     Georgie war sehr ernst gestimmt, folgerte logisch und hatte
das ernsteste und aufrichtigste Bestreben, dem eventuellen Welt-
brand vorzubeugen, wobei er stark auf Deine Mithilfe rechnete.
Den Inhalt der Unterredung teilte ich Lichnowsky mit, mit der
Bitte, diesen dem Kanzler zu übermitteln. Wie ich jetzt durch
Karpf erfahre, hat sich das in London zur Freude vieler verbreitete
Gerücht, wonach Du den französischen Präsidenten auf Deiner
Heimfahrt gesprochen haben solltest, nicht bestätigt; man war be-
reits geneigt, eine solche Begegnung als Friedensgarantie hinzu-
nehmen. Im übrigen war von einer Erregung im öffentlichen Leben
in London nichts zu spüren, was wohl dem Umstände zuzusprechen
sein dürfte, daß der »weckend« seine Rolle spielte, den sich ein
Land, welches geographisch so günstig gelegen ist wie England,
wohl leisten kann. —
     Lichnowsky, mit dem ich noch am Sonntag zusammen war, hat
mich der loyalen und aufrichtigen Gesinnungen Sir Edward Greys,
gelegentlich der augenblicklichen Krise, des neuen versichert. —
     Hierüber hinaus kann ich nichts berichten, da mein Aufenhalt
in England nur von Sonnabend früh bis Montag früh dauerte.
     In Gedanken in dieser sorgenvollen Zeit bei Dir, verbleibe ich
mit herzlichem Gruß,

                              Dein treu gehorsamer Bruder

                                                                                H e i n r i c h


1 Nach der Ausfertigung; zum Bureau des Auswärtigen Amts gelangte sie
erst im Januar 1919.