Nr. 445 Der Militär bevollmächtigte am russischen Hofe an das Auswärtige Amt, 30. Juli 1914

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Nr. 445
Der Militärbevollmächtigte am russischen Hofe an das Auswärtige Amt1


Telegramm 195 Petersburg, den 30. Juli 19142


Für S. M. :
     Fürst Trubetzkoi sagte mir gestern, als er
die sofortige Übermittelung des Telegramms Ew. M.
an Kaiser Nikolaus veranlaßte : »Gottlob ein Tele-
gramm Ihres Kaisers, aber ich fürchte, es ist zu
spät.« Soeben sagte er mir, daß das Telegramm
tiefen Eindruck auf den Kaiser gemacht habe, aber
er könnte leider nichts mehr ändern, denn die
Mobilisierung gegen Österreich war befohlen, und
Sasonow hat wohl S. M. davon überzeugt, daß ein
Zurückweichen nicht mehr möglich sei. Ich sagte
ihm, diese frühzeitige Mobilisierung gegen Österreich
in einem lokalen Kriege desselben mit Serbien trage
nunmehr die Schuld an unabsehbaren Folgen, denn
die Antwort Deutschlands hierauf sei wohl gegeben,
und Rußland trägt die Verantwortung trotz der
Zusicherung Österreichs, keinerlei territoriale Er-
werbungen in Serbien zu beabsichtigen. Als er
Quatsch! Unver- meinte, solchen Zusicherungen Österreichs /rönwe wrt« 
schämtheit hier nicht mehr glauben, entgegnete ich, dann sei
später Zeit, mit Österreich darüber abzurechnen.
Österreich habe nicht gegen Rußland, sondern gegen
Serbien mobilisiert, und es sei kein Grund für Ruß-
land, hier sofort einzugreifen. Ferner sagte ich, die
Redensart Rußlands, wir können unsere Brüder in
Serbien nicht im Stich lassen, versteht man in
Deutschland ?2icht mehr nach dem furchtbaren Ver-
brechen V071 Sarajevo. Er führte schließlich als
aha! Auf alle Fälle einzigen Grund noch die langsame Mobilmachung
Zeit gewinnen und in Rußland an, ich hatte aber den Eindruck, daß
fertig vor uns sein ! er im Grunde überzeugt war, daß Rußland zu eilig
gehandelt habe. Als ich ihm sagte, er möge sich
das erwartet er nicht wundern, wenn die deutsche Streitmacht mo-
nichtü? bihsiert werde, brach er entsetzt ab und sagte, er
müsse sofort nach Peterhof.

     Großfürst Nikolai Michailowitsch sagte mir im
Klub, er habe Nachrichten, die belgische Armee
Blech! sei mobilisiert, denn Belgien habe einen Bündnis-
vertrag mit Frankreich; ich führe es an, obgleich
der Großfürst viel redet, was er nicht verantworten
kann. Die Stadt Petersburg ist mit Ausnahme
einiger Demonstrationen ruhig, da starke polizeiliche
Vorkehrungen getroffen sind bei der österreichischen
und deutschen Botschaft.

     In Kreisen ^, wo man durchaus
freundlich gesinnt ist, erhofft man eine Einigung
Deutschlands mit Rußland auf Grund von Gar an -
hat ja Osterreich tien Deutschlands gegen eine Vergrößerung öster-
bereits erklärt reichs nach dem Krieg mit Serbien bzw. gegen ein
völliges Zertrümmern des letzteren, was ich ohne
Kommentar wiedergebe.

     Bezüglich der Mobilmachung sagten mir höhere
Offiziere im Klub, daß ein Eingreifen oder Auf-
halten derselben in Rußland bei den enormen Ent-
fernungen unausführbar sei und nur Verwirrung
hervorrufe ; außerdem sei in Rußland iivischen dem
Beginn der Mobilisierung und dem Anfang des
Krieges noch ein großer Schritt, der noch immer
zur friedlichen Auseinandersetzung benutzt werden
könnte.

     Ich habe den Eindruck, daß man hier ans
Angst vor kommenden Ereignissen mobilisiert hat
richtig so ist es ohne aggressive Absichten und nun erschreckt ist
darüber, rvas man angerichtet hat.

                                                                      C h e l i u s


1 Nach der Entzifferung. — Vgl. deutsches Weißbuch vom Mai 1915, S. 32,
Nr. 20.
2 Aufgegeben in Petersburg 546 nachm., angekommen im Auswärtigen
Amt 105 nachm. Eingangsvermerk: 30. Juli nachm. Entzifferung lag dem
Kaiser vor, am 31. Juli ins Amt zurückgelangt. Reichskanzler, Jagow
und Zimmermann nahmen am 31. Juli von den kaiserlichen Randbemer-
kungen Kenntnis. — Zu Absatz 2 siehe auch Nr. 505.
3 Lücke in der Entzifferung. Nach einer Abschrift bei den Akten der
deutschen Botschaft in Petersburg ist zu lesen: »des Klubs«.