Nr. 45. Der Staatssekretär des Auswärtigen an die Botschafter in Wien und Konstantinopel, 15. und 17. Juli 1914

From World War I Document Archive
Revision as of 17:06, 8 May 2015 by Woodz2 (talk | contribs)
(diff) ← Older revision | Latest revision (diff) | Newer revision → (diff)
Jump to navigation Jump to search

WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 1 > Nr. 45.


Nr. 45
Der Staatssekretär des Auswärtigen an die Botschafter in Wien und Konstantinopel1


                                                       Berlin, den 14. Juli 1914 2
               Zu Ew. Exz. vertraulichen Information:

     Graf Szögyény las mir heute einen Erlaß des Grafen Berchtold
vor, wonach dieser den Markgrafen Pallavicini darüber befragt hat,
ob seiner Meinung nach die Türkei zum Anschluß an die europäi-
schen Zentralmächte zu gewinnen wäre. Der Botschafter hat sich
ungefähr dahin ausgesprochen, daß in Konstantinopel zur Zeit eine
gewisse Neigung, sich Rußland zuzuwenden, nicht zu verkennen
wäre. Diese Tendenz werde durch ein reges Mißtrauen gegen Italien
wegen seiner den Türken verdächtigen Aspirationen in Kleinasien
noch bestärkt. Zudem seien Rußland und Frankreich in Konstanti-
nopel stark an der Arbeit. Am ehesten würde die Türkei an Öster-
reich und den Dreibund Anlehnung suchen, wenn die Monarchie
durch energisches und erfolgreiches Vorgehen gegen Serbien sich
wieder eine entscheidende Stellung im Balkan sicherte. Hieran an-
knüpfend, hat Graf Berchtold den Grafen Szögyény beauftragt, meine
Ansicht darüber einzuholen, ob es nicht angezeigt erscheine, die
Türkei schon jetzt zum Anschluß an die Zentralmächte zu bewegen.
     Ich habe erwidert, daß meiner Ansicht nach, die übrigens auch
von dem k. Botschafter in Konstantinopel geteilt werde, die Türkei
für die nächsten Jahre wegen ihrer schlechten Armee Verhältnisse nur
als passiver Faktor angesehen werden könne. Zu einer aggressiven
Haltung gegen Rußland wäre sie außerstande. Zudem würde sie,
wenn wir ihr den Anschluß an unsere Gruppe vorschlügen, un-
zweifelhaft auch ihrerseits Forderungen an uns stellen. Einen abso-
luten Schutz gegen Angriffe Rußlands auf Armenien z. B. könnten
wir ihr aber gar nicht gewähren. Ich glaubte, daß die Türkei in
ihrer jetzigen Lage gar keine andere Haltung einnehmen könnte,
als zwischen den Mächten hin und her zu pendeln, bzw. sich der
stärkeren und erfolgreicheren Gruppe anzuschließen. Sollte Rumänien
fest zum Dreibund stehen und etwa Bulgarien auch an unsere Gruppe
Anschluß suchen, so würde das zweifellos auch auf die Haltung der
Türkei Einfluß üben. Jetzt eine Demarche im Sinne der Anregung
des Grafen Berchtold in Konstantinopel zu machen, erschiene mir
zwecklos, wenn nicht — wegen der zu erwartenden und unerfüll-
baren Forderung von Gegenleistungen — bedenklich.

                                                                                J a g o w


1 Nach dem Konzept von Jagows Hand.
2 Abgegangen nach Wien am 15., nach Konstantinopel am 17. Juli.