Nr. 529 Der Reichskanzler an den Botschafter in London, 1. August 1914

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Nr. 529
Der Reichskanzler an den Botschafter in London1


Telegramm 200                               Berlin, den 31. Juli 19142

     Es wird die Aufgabe Ew. Durchl. sein müssen, dort Ver-
ständnis dafür zu erwecken, daß unsere geographisch-militarische
Lage uns keine Wahl ließ, als die Mobilisierung Rußlands sofort
mit der Erklärung des drohenden Kriegszustandes zu beantworten,
der die Mobilmachung folgen muß, wenn Rußland seine militärischen
Maßnahmen nicht sofort einstellt3. Wir konnten nicht ruhig ab-
warten, ob eine besonnenere Auffassung in Petersburg Platz greifen
würde, während gleichzeitig die russische Mobilmachung in vollem
Gange war, so daß wir gegebenenfalls militärisch vollständig ins
Hintertreffen geraten müssen. Führt Rußland seine Mobilmachung
durch, ohne daß wir mobilmachen, so ist Ostpreußen, Westpreußen
und vielleicht auch Posen und Schlesien schutzlos den Russen preis-
gegeben4. Der Zar hat in dem letzten Telegramm an S. M. den
Kaiser erklärt, daß er sich jeder »provocative action« enthalten werde5.
Das wird in England seinen Eindruck nicht verfehlen, wenn es dort
bekannt wird, trifft aber nicht die Sache. Eine russische mobili-
sierte Armee an unserer Grenze, ohne daß wir mobilisiert haben, ist
auch ohne »provocative action« eine- Lebensgefahr für uns. Die Pro-
vokation, der sich Rußland dadurch schuldig gemacht hat, daß es
in einem Augenblick gegen uns mobilisiert hat, wo wir auf seine
Bitten in Wien vermittelten, ist überdies so stark, daß kern Deut-
scher es verstehen würde wenn wir dagegen nicht mit scharfen
Maßregeln antworteten6.           B e t h m a n n   H o l l w e g


1 Nach dem Konzept. Entwurf von Stumms Hand mit Änderungen und
Ergänzungen des Reichskanzlers.
2 Zum Haupttelegraphenamt am 1. August vorm.
3 Satz »Der die Mobilmachung sofort einstellt« vom Kanzler
beigefügt.
4Führt Rußland Russen preisgegeben« vom Reichskanzler
geändert aus dem von Stumm ursprünglich niedergeschriebenen: »So
wäre beispielsweise unsere Provinz Ostpreußen rettungslos der russischen
Eroberung preisgegeben, wenn wir nicht sofort die wichtigsten Sicher-
heitsmaßregeln träfen.« (»Sicherheits. . . « hatte Stumm aus dem zunächst
von ihm niedergeschriebenen »Vorbereitungs. . . « geändert.)
5 Siehe Nr. 487.
6 Abschnitt »trifft aber Maßregeln antworteten« vom Reichs-
kanzler geändert aus ursprünglich von Stumm niedergeschriebenen: »Sich
bei einer solchen Erklärung, m;ig sie auch wirklich bona fide gegeben
sein, zu beruhigen, ist von militärisch-technischen Gesichtspunkten un-
möglich, wäre für die für die Sicherheit des Reichs verantwortlichen
Stellen ein unverantwortlicher Leichtsinn.«