Nr. 53. Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler, 16. Juli 1914

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WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 1 > Nr. 53.


Nr. 53
Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler1

St. Petersburg, den 13. Juli 1914^


Er wollte ja immer den alten 3 Kaiser- bund     Wiederher- stellen !     Er war der beste Freund Rußland ! Ei! Ei! warum geschah es nicht? sagt dasselbe wie Pasitsch richtig natürlich, habe ich schon. Hochmuth kommt vorm Fall!

Das Attentat in Sarajevo hat zwar auch hier einen tiefen Eindruck gemacht, und die Verurteilung des schändlichen Verbrechens kam im ersten Augen- bhck in weiten Kreisen laut zum Ausdruck. Der hier gegen Österreich-Ungarn herrschende tiefe Haß machte sich jedoch sehr bald auch bei diesem traurigen Anlaß geltend, und die Entrüstung über die an den Serben in der österreichisch-ungarischen Monarchie geübte Rache übertönte schon nach wenigen Tagen alle Äußerungen der Teilnahme für den greisen Kaiser Franz Joseph und sein Reich.

Die von der hiesigen österreichisch-ungarischen

Vertretung veranstaltete Trauerfeier fand allerdings

unter zahlreicher Beteihgung der offiziellen Kreise

statt. Von Großfürsten erschienen der mit der

Vertretung des Zaren beauftragte Großfürst Nikolai

Nikolajewitsch und der Großfürst Boris Wladimiro-

witsch. Die Minister waren nahezu vollzählig und auch

die militärische Umgebung des Zaren sehr zahlreich

vertreten. Abgesehen von dieser äußeren Beteiligung

war aber von einer aufrichtige?! Teilnahme an der

Trauer des österreichischen Kaiserhauses jvenig :{ii

merken. Nicht nur in der Presse, sondern auch in der

Gesellschaft begegnete man fast nur unfreundlichen

Urteilen über den ermordeten Er:{her^og unter

Hinweis darauf, daß Rußland in ihm einen erbitterten

^^^-^^ verloren habe. Mit Vorliebe wurden Er- 

zählungen verbreitet, nach welchen der Erzherzog

auch in seiner eigenen Heimat wenig Freunde ge- habt und selbst mit Kaiser Franz Joseph nicht gut gestanden habe.

Sogar Herr Sasonow verweilte, als ich ihn zum ersten Male nach dem Attentat sprach, nur kurz bei der Verurteilung dieses Verbrechens, während er nicht genug Worte der Kritik über das Ver- halten der österreichisch-imgarischen Behörden^, welche die Ausschreitungen gegen die Serben zuge- lassen hätten, finden konnte. Als ich den Minister darauf hinwies, daß es begreiflich ersclseine, wenn die kaisertreue Bevölkerung in der ganzen Monarchie und besonders in Sarajevo infolge der scheußlichen Bluttat in hoclsgradige Erregung geraten sei, und wenn die Polizei, welcl.e, wie schon die ungenügenden Sici.erheitsmaßregeln bewiesen, ansclieinend ihrer Aufgabe nicht gewachsen war, den Kopf verloren habe, wollte Herr Sasonow diese mildernden Um- stände nicht gelten lassen. Er gab vielmehr deut- lich zu verstehen, daß nach seiner Überzeugung die Beliörden absichtlich der Volkswut die Zügel hätten schießen lassen*. Daß es in Bosnien und der


Rußlands

Herzegowina eine nennenswerte kaisertreue Be- völkerung gebe, wollte der Minister nicht :{iigeben. Es könne sich, wie er wegwerfend bemerkte, höch- stens um einige Muhamedaner und Katholiken handeln. Ebenso bestritt Herr Sasonow, daß, wie österreichischerseits behauptet werde, das Attentat auf ein großserbisches Komplott zurückzuführen sei. Jedenfalls sei in dieser Beziehung bis jetzt nicht das Geringste bewiesen^ und es sei im höchsten Maße ungerecht, die serbische Regierung, die sich vollkommen korrekt verhalte, für das Verbrechen verantwortlich zu machen, wie es in der österreichisch- ungarischen Presse geschehe. Mit demselben Recht hätte Rußland wiederholt die französische Regierung für Attentate, die auf französischem Boden vorbe-

reitet und in Rußland verübt wurden, ^ur Rechen- Schaft ziehen können.

Ich erwiderte dem Minister, man könne, wie mir scheine, doch nicht umhin zuzugeben, daß die von den Serben seit Jahren in Bosnien und der Herze- gowina betriebene und von Serbien aus geschürte antiösterreichische Agitation zum mindesten viel dazu beigetragen habe, den Plan zu dem verab- scheuungs würdigen Verbrechen zur Reife zu bringen. Herr Sasonow blieb dabei, daß es sich nur um die

Tat vereinzelter unreifer junger Leute handele, deren Verbindung mit einem weitangelegten poli-

tischen Komplott keineswegs erwiesen sei.

Ich wies ferner darauf hin, daß das Attentat eine neue ernste Mahnung an die alten Monarchien ent- halte, ihres gemeinsamen Interesses und der gemein- samen Gefahren, die sie bedrohen, eingedenk zu sein. Herr Sasonow konnte nicht umhin, dieser Bemerkung zuzustimmen, es geschah aber mit iueniger Wärme, als ich sonst bei ihm zu finden gewohnt bin, wenn die Rede auf die monarchischen Interessen kommt. Diese Zurückhaltung ist nur durch den wiversöhn- lichen Haß des Mifiisters gegen Österreich- Utigarn zu erklären, einen Haß, der überhaupt hier mehr

und mehr jedes klare und ruhige Urteil trübt. Wir werden, wie ich glaube, mit dieser Erscheinung, die auch notwendig auf unsere Beziehungen ^m

Rußland zurückwirken muß, noch auf Jahre hin- aus zu rechnen haben. Sie ist um so bemerkens- werter, als mit der Erbitterimg gegen Österreich eine immer xpachsende Überhebung gegenüber der habsburgischen Monarchie Hand in Hand geht. Alle Äußerungen, die man hier auch in amthchen Kl eisen über Österreich-Ungarn hört, zeugen von einer gren:{enlosen Verachtung für die dort herr- schenden Verhältnisse.

F. P o u r t a l e s

^ Nach der Ausfertigung.

2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 16. Juli vorm. Bericht lag dem Kaiser vor, von ihm am 20. Juli zurückgegeben, am 23. Juli wieder im Amt. Gemäß kaiserlicher Randverfügung am 26. Juli den Botschaften in Wien, London und Paris mitgeteilt, am gleichen Tage außerdem noch der Botschaft in Rom.


' Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.

  • Desßl.

^ Desgl.

  • Am Rand zwei Ausrufungszeichen des Kaisers.

' »weniger Wärme« vom Kaiser zweimal unterstrichen, am Rand Aus- rufungszeichen.