Nr. 535 Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt, 1. August 1914: Difference between revisions

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Nr. 535  
Nr. 535  


Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt^
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt<sup>1</sup>


Telegramm 204 St. Petersburg, den 31. Juli 19 14^
Telegramm 204 St. Petersburg, den 31. Juli 1914<sup>2</sup>


Für S. M. den Kaiser  
Für S. M. den Kaiser  
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empfangen worden bin. Ich habe den Zaren mit dem allergrößten  
empfangen worden bin. Ich habe den Zaren mit dem allergrößten  
Ernst auf den Eindruck hingewiesen, den heute früh publizierter  
Ernst auf den Eindruck hingewiesen, den heute früh publizierter  
Mobilmachungsbefehl für die ganze russische Armee und Flotte  
Mobilmachungsbefehl für die g a n z e russische Armee und Flotte  
bei uns machen müsse, nach den uns wiederholt erteilten Versicherun-  
bei uns machen müsse, nach den uns wiederholt erteilten Versicherun-  
gen, daß nur eine Mobilmachung der an der österreichischen Grenze  
gen, daß nur eine Mobilmachung der an der österreichischen Grenze  
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fürchtung Ausdruck, daß diese Maßregel vielleicht schon jetzt nicht  
fürchtung Ausdruck, daß diese Maßregel vielleicht schon jetzt nicht  
wieder gutzumachende Folgen hervorgerufen habe. Vor allem aber  
wieder gutzumachende Folgen hervorgerufen habe. Vor allem aber  
sprach ich die Besorgnis aus, daß die Mobi'imachung gegen Deutsch-  
sprach ich die Besorgnis aus, daß die Mobiimachung gegen Deutsch-  
land während einer von Ew. M. geführten und noch nicht endgültig  
land während einer von Ew. M. geführten und noch nicht endgültig  
gescheiterten Vermittclungsaktion von Ew. M. als eine Kränkung,  
gescheiterten Vermittelungsaktion von Ew. M. als eine Kränkung,  
vom deutschen Volke aber als eine Provokation angesehen werden  
vom deutschen Volke aber als eine Provokation angesehen werden  
würde. Ich bat, wenn irgend tunlich, diese Maßregel noch anzu-  
würde. Ich bat, wenn irgend tunlich, diese Maßregel noch anzu-  
halten oder rückgängig zu machen. S. M. erwiderte, das sei aus  
halten oder rückgängig zu machen. S. M. erwiderte, das sei aus  
technischen Gründen nicht mehr möglich. Der Zar zeigte mir darauf  
technischen Gründen nicht mehr möglich. Der Zar zeigte mir darauf  
ein an Ew. M. heute nachmittag abgesandtes Telegramm^ und sprach  
ein an Ew. M. heute nachmittag abgesandtes Telegramm<sup>3</sup> und sprach  
mir von einem Brief, den er an Ew. M. angefangen habe. Ich er-  
mir von einem Brief, den er an Ew. M. angefangen habe. Ich er-  
widerte, ich wüßte nicht, ob Brief und Telegramm nicht jetzt schon  
widerte, ich wüßte nicht, ob Brief und Telegramm nicht jetzt schon  
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und Vermittelung hätten wir uns stets bereit gezeigt, und der Zar  
und Vermittelung hätten wir uns stets bereit gezeigt, und der Zar  
müsse zugeben, daß es Ew. M. auch jetzt nicht an Bemühungen in  
müsse zugeben, daß es Ew. M. auch jetzt nicht an Bemühungen in  
dieser * fehlen ließen.  
dieser . . . . . . . . . . .<sup>4</sup> fehlen ließen.  


Trotz meiner sehr ernsten Sprache konnte ich mich 'leider dem  
Trotz meiner sehr ernsten Sprache konnte ich mich 'leider dem  
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dränge.  
dränge.  


Alleruntertanigst „ , , ^
Alleruntertänigst


Pourtales
P o u r t a l è s


^ Nach der Entzifferung.  
<sup>1</sup> Nach der Entzifferung.  
 
<sup>2</sup> Aufgegeben in Petersburg 31. Juli nachm., angekommen im Auswärtigen  
2 Aufgegeben in Petersburg 31. Juli nachm., angekommen im Auswärtigen  
Amt 1. August 5<sup>45</sup> vorm. Eingangsvermerk: 1. August vorm. Entzifferung  
Amt I. August 5''^ vorm. Eingangsvermerk: i. August vorm. Entzifferung  
vom Reichskanzler dem Kaiser vorgelegt, von ihm am 1. August zurück-  
vom Reichskanzler dem Kaiser vorgelegt, von ihm am i. August zurück-  
gegeben.  
gegeben.  
 
<sup>3</sup> Siehe Nr. 480.  
 
<sup>4</sup> Zifferngruppe unverständlich. Nach dem bei den Akten der deutschen  
^ Siehe Nr. 480.  
Botschaft in Petersburg befindlichen Konzept ist zu lesen: »in diesem  
 
* Zifferngruppe unverständlich. Nach dem bei den Akten der deutschen  
Botschaft in Peter^sburg befindlichen Konzept ist zu lesen: »in diesem  
Sinne«.
Sinne«.

Revision as of 15:04, 17 July 2015

WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 1 > Nr. 535.


Nr. 535

Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1

Telegramm 204 St. Petersburg, den 31. Juli 19142

Für S. M. den Kaiser

Ew. M. melde ich alleruntertänigst, daß ich soeben in einer von mir heute früh erbetenen Audienz von Sr. M. dem Kaiser Nikolaus empfangen worden bin. Ich habe den Zaren mit dem allergrößten Ernst auf den Eindruck hingewiesen, den heute früh publizierter Mobilmachungsbefehl für die g a n z e russische Armee und Flotte bei uns machen müsse, nach den uns wiederholt erteilten Versicherun- gen, daß nur eine Mobilmachung der an der österreichischen Grenze gelegenen militärischen Bezirke beabsichtigt sei. Ich gab der Be- fürchtung Ausdruck, daß diese Maßregel vielleicht schon jetzt nicht wieder gutzumachende Folgen hervorgerufen habe. Vor allem aber sprach ich die Besorgnis aus, daß die Mobiimachung gegen Deutsch- land während einer von Ew. M. geführten und noch nicht endgültig gescheiterten Vermittelungsaktion von Ew. M. als eine Kränkung, vom deutschen Volke aber als eine Provokation angesehen werden würde. Ich bat, wenn irgend tunlich, diese Maßregel noch anzu- halten oder rückgängig zu machen. S. M. erwiderte, das sei aus technischen Gründen nicht mehr möglich. Der Zar zeigte mir darauf ein an Ew. M. heute nachmittag abgesandtes Telegramm3 und sprach mir von einem Brief, den er an Ew. M. angefangen habe. Ich er- widerte, ich wüßte nicht, ob Brief und Telegramm nicht jetzt schon zu spät kämen. Der Zar versuchte sodann, mir nachzuweisen, daß es für die Ruhe Europas durchaus notwendig sei, daß wir mehr Einfluß und in gew^issen Fällen einen Druck auf Österreich aus- übten. Ich erwiderte, der Einfluß, den wir auf Österreich ausübten, habe sich in der vorjährigen Balkankrisis in wiederholten Fällen ge- zeigt und sei auch von Rußland anerkannt worden. Was aber einen auszuübenden Druck anbetreffe, so könne davon keine Rede sein, da wir bei unserer Lage in Europa auf die FVeundschaft Österreichs nicht verzichten könnten. Zu einer freundschaftlichen Einwirkung und Vermittelung hätten wir uns stets bereit gezeigt, und der Zar müsse zugeben, daß es Ew. M. auch jetzt nicht an Bemühungen in dieser . . . . . . . . . . .4 fehlen ließen.

Trotz meiner sehr ernsten Sprache konnte ich mich 'leider dem Eindruck nicht verschließen, daß sich S. M. noch jetzt des vollen Ernstes der Situation nicht bewußt ist. Zar entließ mich äußerst gnädig und dankte mir für die freimütige Aussprache.

Nach der Audienz sah ich noch Graf Fredericks, der sich über den Ernst der Lage ganz klar war. Ich setzte ihm unseren Stand- punkt auseinander, gegen den er nicht viel einzuwenden wußte, und äußerte meine Besorgnisse wegen des durch die hiesige Mobil- machungsorder in Deutschland zu erwartenden Eindrucks. Graf Fredericks hat offenbar zu dem heutigen Telegramm des Zaren an Ew. M. geraten. Aus Andeutungen des Hausministers entnehme ich, daß es der Kriegsminister und der Minister des Innern gewesen sind, welche den Mobilmachungsbefehl durchgesetzt haben. Ersterer ist von der Angst vor Überraschungen beherrscht, letzterer hat den Kaiser davon überzeugt, daß die innere Lage auf Entscheidung dränge.

Alleruntertänigst

P o u r t a l è s

1 Nach der Entzifferung. 2 Aufgegeben in Petersburg 31. Juli nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 1. August 545 vorm. Eingangsvermerk: 1. August vorm. Entzifferung vom Reichskanzler dem Kaiser vorgelegt, von ihm am 1. August zurück- gegeben. 3 Siehe Nr. 480. 4 Zifferngruppe unverständlich. Nach dem bei den Akten der deutschen Botschaft in Petersburg befindlichen Konzept ist zu lesen: »in diesem Sinne«.