View source for Nr. 608 Entwurf eines nicht abgesandten Telegramms des Staatssekretärs des Auswärtigen an den Botschafter in Paris, 1. August 1914

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<center>Nr. 608</center> 

<center><font size=4>'''Entwurf eines nicht abgesandten Telegramms des Staatssekretärs des Auswärtigen an den Botschafter in Paris<sup>1</sup>'''</font></center> <br>

Dringend ! <sup>2</sup>&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; Berlin, den 1. August 1914 <br>

&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Falls die französische Regierung auf unsere Anfrage keine be- <br>
friedigende Antwort erteilt, wollen Ew. Exz. ihr heute nachmittag <br>
6 Uhr mitteleuropäischer Zeit folgende Erklärung überweisen<sup>3</sup>: <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;»Die deutsche Regierung ist von Beginn der Krisis an um einen <br>
friedlichen Ausgleich bemüht gewesen. Aber während sie auf <br>
Wunsch Sr. M. des Kaisers von Rußland und in Fühlung mit Eng- <br>
land noch zwischen Wien und St. Petersburg vermittelte, hat Ruß- <br>
land sein gesamtes Heer und seine Flotte mobilisiert. Durch diese <br>
Maßregel, der keine außerordentlichen Kriegsvorbereitungen in <br>
Deutschland vorangegangen waren, ist das Deutsche Reich in seiner <br>
Sicherheit bedroht worden. Einer solchen Gefahr nicht entgegen- <br>
treten, hieße um die Existenz des Reichs spielen. Die deutsche Re- <br>
gierung hat daher die russische Regierung zur sofortigen Einstellung <br>
der<sup>4</sup> Mobilmachung gegen Deutschland und seinen Verbündeten, <br>
Österreich-Ungarn, aufgefordert. Gleichzeitig hat<sup>5</sup> die deutsche <br>
Regierung die Regierung der französischen Republik hiervon in <br>
Kenntnis gesetzt und sie in Anbetracht der bekannten Beziehungen <br>
der Republik zu Rußland um eine Erklärung darüber ersucht, ob <br>
Frankreich in einem russisch-deutschen Kriege neutral bleiben will. <br>
Hierauf hat<sup>6</sup> die französische Regierung die zweideutige und aus- <br>
weichende Antwort gegeben, Frankreich werde das tun, was seine <br>
Interessen geböten<sup>7</sup>. Mit dieser Antwort behält sich Frankreich vor, <br>
sich auf Seiten unserer Gegner zu stellen, und es ist in der Lage, <br>
uns jeden Augenblick mit seiner inzwischen mobilisierten Armee in <br>
den Rücken zu fallen. Deutschland muß<sup>8</sup> in diesem Verhalten um so <br>
mehr eine Bedrohung erblicken, als auf die an Rußland gerichtete <br>
Aufforderung, die Mobilisierung seiner Streitkräfte einzustellen, <br>
nach längst verstrichener Frist keine Antwort eingegangen und daher <br>
em russisch-deutscher Krieg ausgebrochen ist. Deutschland kann die <br>
Wahl des Zeitpunktes, in dem die Bedrohung seiner westlichen <br>
Grenze zur Tat wird, nicht Frankreich überlassen, sondern muß, von <br>
zwei Seiten bedroht, sofort seine Verteidigung ins Werk setzen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Hiernach bin ich beauftragt Ew. Exz. folgendes zu eröffnen: <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;»S. M. der deutsche Kaiser erklärt im Namen des Reichs, daß <br>
Deutschland sich als im Kriegszustand mit Frankreich befindlich <br>
betrachtet.«« <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Bitte Eingang und Zeitpunkt der Ausführung dieser Instruk- <br>
tion nach westeuropäischer Zeit umgehend drahten. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte ameri- <br>
kanischer Botschaft übergeben<sup>9</sup>.&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;  J a g o w <br>

<hr>
<sup>1</sup> Der Entwurf ist von Rosenbergs Hand am 31. Juli nach Abgang des <br>
Ultimatums an Paris (siehe Nr. 491) geschrieben, von Jagow am 1. August <br>
gezeichnet, von diesem Tage datiert, n ich Eingang der endgültigen Ant- <br>
wort aus Paris (1. August 6<sup>10</sup> nachm., siehe Nr. 571) von Jagows Hand er- <br>
gänzt, mit Zusätzen und Veränderungen des Reichskanzlers und Hammanns <br>
versehen. Der Entwurf wurde nicht ausgefertigt, sondern am 3. August <br>
von Rosenberg nach Anfrage bei Stumm zu den Akten geschrieben. <br>
<sup>2</sup> Am Rande die für den Reichskanzler bestimmte Notiz Rosenbergs: »R[eichs] <br>
K[anzler] mit dem gehorsamsten Anheimstellen der Einholung Allerhöchster <br>
Genehmigung. Die mit Bleistift eingeklammerte Stelle ist auf direkten <br>
Wunsch des Generalstabs eingefügt worden. Sie dürfte indes nicht unbe- <br>
denklich sein, da zu dem angegebenen Zeitpunkte möglicherweise die <br>
Frist von 18 Stunden noch nicht abgelaufen ist. Das nebenstehende <br>
Telegramm muß spätestens morgen mittag 12 Uhr abgehen.« <br>
<sup>3</sup> Ursprünglich stand im Entwurf: »wollen Ew. Exz. nach Ablauf der Frist <br>
unverzüglich, spätestens aber heute nachmittag 6 Uhr«. Die vom General- <br>
stab gewünschten Worte lauten »spätestens aber heute nachmittag 6 Uhr,« <br>
sie sind im Entwurf mit Bleistift eingeklammert, nachträglich ist die <br>
Klammer aber durchstrichen worden. Die Worte: nach Ablauf der Frist <br>
unverzüglich spätestens aber« sind durchstrichen. Vgl, zu diesen ver- <br>
schiedenüichen Veränderungen denselben Vorgang bei Urfassung der <br>
Kriegserklärung an Rußland (Nr. 542). <br>
<sup>4</sup> »Der« vom Reichskanzler an Stelle »seiner«. <br>
<sup>5</sup> Abschnitt »Einer solchen Gefahr . . . . . . . . . . gleichzeitig hat« von Jagows <br>
Hand im Konzept beigefügt. <br>
<sup>6</sup> Abschnitt »Hierauf hat die . . . . . . . . . . . . in den Rücken zu fallen«, nach <br>
Eingang der endgültigen Antwort aus Paris von Jagows Hand, die Worte <br>
»mit seiner inzwischen mobilisierten Armee« von der Hand des Reichs- <br>
kanzlers hinzugefügt. Den Zusätzen Jagows liegen mehrere Vorentwürfe <br>
von seiner Hand zugrunde. <br>
<sup>7</sup> Siehe Nr. 571 <br>
<sup>8</sup>Abschnitt »Deutschland muß . . . . . . . . . . zu eröffnen« von Hammanns <br>
Hand niedergeschrieben. <br>
<sup>9</sup> Letzter Satz von Jagows Hand hinzugefügt.