Nr. 64. Der Botschafter in Rom an den Reichskanzler, 18. Juli 1914: Difference between revisions

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<center>Der Botschafter in Rom an den Reichskanzler<sup>1</sup></center>  
<center><font size=4>'''Der Botschafter in Rom an den Reichskanzler<sup>1</sup>'''</font></center> <br>


Fiuggi, den 16. Juli 1914<sup>2</sup>
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Meiner anderweitigen Meldung über die Abfassung eines Rechts-  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Meiner anderweitigen Meldung über die Abfassung eines Rechts- <br>
gutachtens des Staatsministers Fusinato<sup>3</sup>, betreffend den öster-  
gutachtens des Staatsministers Fusinato<sup>3</sup>, betreffend den öster- <br>
reichisch-serbischen Streitfall und die Stellung des Marquis di San  
reichisch-serbischen Streitfall und die Stellung des Marquis di San <br>
GiuHano dazu, möchte ich noch hinzufügen, daß der Minister mit  
Giuliano dazu, möchte ich noch hinzufügen, daß der Minister mit <br>
großer Entschiedenheit den Standpunkt vertrat, Österreich dürfe  
großer Entschiedenheit den Standpunkt vertrat, Österreich dürfe <br>
nicht in Belgrad wegen der großserbischen Propaganda reklamieren,  
nicht in Belgrad wegen der großserbischen Propaganda reklamieren, <br>
solange diese Propaganda nicht in Österreich selbst zur Tat über-  
solange diese Propaganda nicht in Österreich selbst zur Tat über- <br>
gehe. Die Ermordung des Thronfolgers sei als solche nicht anzu-  
gehe. Die Ermordung des Thronfolgers sei als solche nicht anzu- <br>
sehen, da sie nicht von einem serbischen Untertan begangen worden  
sehen, da sie nicht von einem serbischen Untertan begangen worden <br>
sei. Wenn Österreich beabsichtige, die serbischen Nation alitäts-  
sei. Wenn Österreich beabsichtige, die serbischen Nationalitäts- <br>
bestrebungen mit Gewalt zu unterdrücken, so sei es für irgendeine  
bestrebungen mit Gewalt zu unterdrücken, so sei es für irgendeine <br>
italienische Regierung ganz unmöghch, ihr auf diesem Wege zu  
italienische Regierung ganz unmöglich, ihr auf diesem Wege zu <br>
folgen; alle Traditionen<sup>4</sup> der Nation ah tätsidee und des liberalen  
folgen; alle Traditionen<sup>4</sup> der Nationalitätsidee und des liberalen <br>
Prinzips zwängen Italien, sich von dieser Bahn fernzuhalten.  
Prinzips zwängen Italien, sich von dieser Bahn fernzuhalten. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Wer mit der Phrasenherrschaft der lateinischen Völker vertraut <br>
ist, wird nicht verkennen, daß es in der Tat für eine italienische <br>
Regierung nicht leicht ist, eine andere Haltung einzunehmen. Be- <br>
reits werden Stimmen laut, die mit Rücksicht auf den gleichartigen <br>
geschichtlichen italienischen Nationalitätskampf die Bekämpfung der <br>
serbischen Nationalitätsbestrebungen als unmöglich bezeichnen. Die <br>
Plattform des österreichischen Vorgehens ist daher für die hiesige <br>
öffentliche Meinung durchaus ungünstig. Wenn ich den Standpunkt <br>
des Ministers ziemlich lebhaft bekämpft habe, so geschah es weniger, <br>
weil ich diesen Standpunkt nicht begriff, als weil ich wünschte, ihn <br>
indirekt zu einer Andeutung darüber zu bringen, ob er auch im <br>
Falle ernster europäischer Komplikation dem Bundesgenossen die <br>
Hilfe versagen würde. Bis zu einer abschließenden Erklärung <br>
darüber konnte der Minister schon aus dem Grunde nicht gehen, <br>
weil die österreichischen Forderungen eine Formulierung noch nicht <br>
gefunden haben. Ich habe aber den Eindruck gewonnen, daß es <br>
außerordentlich schwer, wenn nicht unmöglich sein wird, Italien auf <br>
diesem Gebiete zur Gefolgschaft zu bringen. Es spielen in diese <br>
Angelegenheit nicht nur die vorliegende akute Frage, sondern vor <br>
allem auch die hier herrschende Stimmung gegen Österreich und <br>
auch die eigene psychologische Verfassung des Marquis di San Giuliano <br>
hinein. Noch vor einem Jahre sahen die Dinge anders aus. Aber <br>
seit den bekannten Triester Erlassen des Prinzen Hohenlohe ist die <br>
kaum latent gewordene geschichtliche Abneigung gegen Österreich <br>
allmählich mehr und mehr wieder erwacht, und es ist in der Tat <br>
schwer, sich augenblicklich eine weitgehende österreichisch-italienische <br>
Kooperation praktisch vorzustellen. Der Marquis di San Giuliano, <br>
der die Pflege der Beziehungen zu Österreich als eine Art politischen <br>
Programms seiner Ministerschaft betrachtet hat, ist enttäuscht und <br>
fühlt sich nicht mehr von der Volksstimmung getragen. Er sagte <br>
mir noch gestern, er sehe so viele schwarze Punkte für die weitere <br>
Gestaltung des italienisch-österreichischen Verhältnisses, daß er fast <br>
an einer weiteren Arbeit verzweifle. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Ich habe ihm an der Hand vieler Gründe gesagt, ich sei auch <br>
heute noch überzeugt, daß für Italien das Bundesverhältnis zu <br>
Österreich die beste Politik sei. Zeitweilige Störungen, wie die <br>
jetzige, müßten überwunden werden. Der Minister meinte, solange <br>
er noch da sei, wolle er ja auch in diesem Sinne wirken. Aber er <br>
arbeite ohne große Hoffnung. <br>


Wer mit der Phrasenherrschaft der lateinischen Völker vertraut
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;F l o t o w<br>
ist, wird nicht verkennen, daß es in der Tat für eine italienische
Regierung nicht leicht ist, eine andere Haltung einzunehmen. Be-
reits werden Stimmen laut, die mit Rücksicht auf den gleichartigen
geschichtlichen italienischen Nationalitätskampf die Bekämpfung der
serbischen Nationalitätsbestrebungen als unmöglich bezeichnen. Die
Plattform des österreichischen Vorgehens ist daher für die hiesige
öffenthche Meinung durchaus ungünstig. Wenn ich den Standpunkt
des Ministers ziemlich lebhaft bekämpft habe, so geschah es weniger,
weil ich diesen Standpunkt nicht begriff, als weil ich wünschte, ihn
indirekt zu einer Andeutung darüber zu bringen, ob er auch im
Falle ernster europäischer Komplikation dem Bundesgenossen die
Hilfe versagen würde. Bis zu einer abschließenden Erklärung
darüber konnte der Minister schon aus dem Grunde nicht gehen,
weil die österreichischen Forderungen eine Formulierung noch nicht
gefunden haben. Ich habe aber den Eindruck gewonnen, daß es
außerordentlich schwer, wenn nicht unmöglich sein wird, Itahen auf
diesem Gebiete zur Gefolgschaft zu bringen. Es spielen in diese
Angelegenheit nicht nur die vorliegende akute Frage, sondern vor
allem auch die hier herrschende Stimmung gegen Österreich und
auch die eigene psychologische Verfassung des Marquis di San Giuliano
hinein. Noch vor einem Jahre sahen die Dinge anders aus. Aber
seit den bekannten Triester Erlassen des Prinzen Hohenlohe ist die
kaum latent gewordene geschichthche Abneigung gegen Österreich
allmählich mehr und mehr wieder erwacht, und es ist in der Tat
schwer, sich augenblickhch eine weitgehende österreichisch-italienische
Kooperation praktisch vorzustellen. Der Marquis di San Giuhano,
der die Pflege der Beziehungen zu Österreich als eine Art pohtischen
Programms seiner Ministerschaft betrachtet hat, ist enttäuscht und
fühlt sich nicht mehr von der Volksstimmung getragen. Er sagte
mir noch gestern, er sehe so viele schwarze Punkte für die weitere
Gestaltung des itaHenisch-österreichischen Verhältnisses, daß er fast
an einer weiteren Arbeit verzweifle.


Ich habe ihm an der Hand vieler Gründe gesagt, ich sei auch
<hr>
heute noch überzeugt, daß für Itahen das Bundesverhältnis zu
<sup>1</sup> Nach der Ausfertigung. <br>
Österreich die beste PoHtik sei. Zeitweilige Störungen, wie die
<sup>2</sup> Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 18. Juli nachm. Am 19. Juli in <br>
jetzige, müßten überwunden werden. Der Minister meinte, solange
Abschrift der Botschaft in Wien »zur gefl. vertraulichen Information und <br>
er noch da sei, wolle er ja auch in diesem Sinne wirken. Aber er
geeigneten Verwendung gegenüber Graf Berchtold« übersandt. <br>
arbeite ohne große Hoffnung.
<sup>3</sup> Siehe [[Nr. 42. Der Botschafter in Rom an das Auswärtigen, 14. Juli 1914|Nr. 42]]. <br>
 
<sup>4</sup> Ausfertigung irrig: Tradition.
F l o t o w
 
* Nach der Ausfertigung.  
 
* Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 18. Juli nachm. Am 19. Juli in  
Abschrift der Botschaft in Wien »zur gefl. vertraulichen Information und  
geeigneten Verwendung gegenüber Graf Berchtold« übersandt.  
 
* Siehe Nr. 42.  
* Ausfertigung irrig: Tradition.

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WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 1 > Nr. 64.


Nr. 64
Der Botschafter in Rom an den Reichskanzler1


                                                            Fiuggi, den 16. Juli 19142

     Meiner anderweitigen Meldung über die Abfassung eines Rechts-
gutachtens des Staatsministers Fusinato3, betreffend den öster-
reichisch-serbischen Streitfall und die Stellung des Marquis di San
Giuliano dazu, möchte ich noch hinzufügen, daß der Minister mit
großer Entschiedenheit den Standpunkt vertrat, Österreich dürfe
nicht in Belgrad wegen der großserbischen Propaganda reklamieren,
solange diese Propaganda nicht in Österreich selbst zur Tat über-
gehe. Die Ermordung des Thronfolgers sei als solche nicht anzu-
sehen, da sie nicht von einem serbischen Untertan begangen worden
sei. Wenn Österreich beabsichtige, die serbischen Nationalitäts-
bestrebungen mit Gewalt zu unterdrücken, so sei es für irgendeine
italienische Regierung ganz unmöglich, ihr auf diesem Wege zu
folgen; alle Traditionen4 der Nationalitätsidee und des liberalen
Prinzips zwängen Italien, sich von dieser Bahn fernzuhalten.
     Wer mit der Phrasenherrschaft der lateinischen Völker vertraut
ist, wird nicht verkennen, daß es in der Tat für eine italienische
Regierung nicht leicht ist, eine andere Haltung einzunehmen. Be-
reits werden Stimmen laut, die mit Rücksicht auf den gleichartigen
geschichtlichen italienischen Nationalitätskampf die Bekämpfung der
serbischen Nationalitätsbestrebungen als unmöglich bezeichnen. Die
Plattform des österreichischen Vorgehens ist daher für die hiesige
öffentliche Meinung durchaus ungünstig. Wenn ich den Standpunkt
des Ministers ziemlich lebhaft bekämpft habe, so geschah es weniger,
weil ich diesen Standpunkt nicht begriff, als weil ich wünschte, ihn
indirekt zu einer Andeutung darüber zu bringen, ob er auch im
Falle ernster europäischer Komplikation dem Bundesgenossen die
Hilfe versagen würde. Bis zu einer abschließenden Erklärung
darüber konnte der Minister schon aus dem Grunde nicht gehen,
weil die österreichischen Forderungen eine Formulierung noch nicht
gefunden haben. Ich habe aber den Eindruck gewonnen, daß es
außerordentlich schwer, wenn nicht unmöglich sein wird, Italien auf
diesem Gebiete zur Gefolgschaft zu bringen. Es spielen in diese
Angelegenheit nicht nur die vorliegende akute Frage, sondern vor
allem auch die hier herrschende Stimmung gegen Österreich und
auch die eigene psychologische Verfassung des Marquis di San Giuliano
hinein. Noch vor einem Jahre sahen die Dinge anders aus. Aber
seit den bekannten Triester Erlassen des Prinzen Hohenlohe ist die
kaum latent gewordene geschichtliche Abneigung gegen Österreich
allmählich mehr und mehr wieder erwacht, und es ist in der Tat
schwer, sich augenblicklich eine weitgehende österreichisch-italienische
Kooperation praktisch vorzustellen. Der Marquis di San Giuliano,
der die Pflege der Beziehungen zu Österreich als eine Art politischen
Programms seiner Ministerschaft betrachtet hat, ist enttäuscht und
fühlt sich nicht mehr von der Volksstimmung getragen. Er sagte
mir noch gestern, er sehe so viele schwarze Punkte für die weitere
Gestaltung des italienisch-österreichischen Verhältnisses, daß er fast
an einer weiteren Arbeit verzweifle.
     Ich habe ihm an der Hand vieler Gründe gesagt, ich sei auch
heute noch überzeugt, daß für Italien das Bundesverhältnis zu
Österreich die beste Politik sei. Zeitweilige Störungen, wie die
jetzige, müßten überwunden werden. Der Minister meinte, solange
er noch da sei, wolle er ja auch in diesem Sinne wirken. Aber er
arbeite ohne große Hoffnung.

                                                                           F l o t o w


1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 18. Juli nachm. Am 19. Juli in
Abschrift der Botschaft in Wien »zur gefl. vertraulichen Information und
geeigneten Verwendung gegenüber Graf Berchtold« übersandt.
3 Siehe Nr. 42.
4 Ausfertigung irrig: Tradition.