View source for Nr. 87. Der Botschaftsrat in Wien an den Staatssekretär des Auswärtigen (Privatbrief), 20. Juli 1914

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<center>Nr. 87</center>

<center><font size=4>'''Der Botschaftsrat in Wien an den Staatssekretär des Auswärtigen (Privatbrief)<sup>1</sup>'''</font></center><br>

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&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Hochverehrter Herr Staatssekretär ! <br>

&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Gestern war ich bei Berchtold, der mir sagte, daß die bewußte <br>
Note am 23. d. M. in Belgrad überreicht werden soll. Wie ich <br>
gestern berichtet habe, hofft Berchtold, daß die österreichischen <br>
Forderungen, über die er sich im einzelnen nicht ausließ, von <br>
Serbien nicht angenommen werden, ganz sicher ist er aber nicht, <br>
und ich habe aus seinen wie aus Äußerungen von Hoyos den Ein- <br>
druck, daß Serbien die Forderungen annehmen kann. Auf meine <br>
Frage, was denn geschehen solle, wenn die Sache auf diese Weise <br>
wieder im Sande verlaufe, meinte Berchtold, man müsse dann bei <br>
der praktischen Durchführung der einzelnen Postulate eine weit- <br>
gehende Ingerenz ausüben. — Will man hier wirklich eine endgültige <br>
Klärung des Verhältnisses zu Serbien, wie sie auch Graf Tisza in <br>
seiner Rede kürzlich als unabweislich bezeichnet hat, so wäre es <br>
allerdings unerfindlich, warum man nicht solche Forderungen auf- <br>
gestellt haben sollte, die einen Bruch unvermeidlich machen. Ver- <br>
läuft die Aktion wieder wie das Hornberger Schießen, und bleibt <br>
es bei einem sogenannten diplomatischen Erfolge, so wird damit <br>
die hierzulande schon vorherrschende Anschauung, daß die Monarchie <br>
zu keiner Kraftäußerung mehr fähig ist, bedenklich befestigt. Die <br>
Folgen, die dies nach innen und außen haben würde, liegen ja auf <br>
der Hand. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Ich habe Berchtold auch gefragt, ob er vor einer eventuellen <br>
Aktion gegen Serbien mit Italien Fühlung zu nehmen gedenke, worauf <br>
er mir sagte, er habe bisher noch kein Wort verlauten lassen <br>
und beabsichtige auch, die italienische Regierung vor ein fait accompli <br>
zu stellen, da sie ihm in puncto Verschwiegenheit nicht ganz sicher <br>
sei und bei ihrer serbophilen Haltung leicht in Belgrad etwas durch- <br>
sickern lassen könne. Hierin habe man auch in Berlin Hoyos, mit <br>
dem dieser Punkt besprochen worden sei, recht gegeben. Dies <br>
wurde mir auch von Hoyos selbst bestätigt. Darauf habe ich dem <br>
Minister im Sinne des Geheimen Erlasses vom 15. d. M. — Nr. 911 — <sup>3</sup> <br>
eindringlich auseinandergesetzt, wie ungeheuer wichtig es uns erscheine, <br>
daß man sich hier mit Rom über die im Konfliktsfall zu verfol- <br>
genden Ziele auseinandersetzt und es auf seiner Seite zu halten <br>
sucht. Berchtold entwickelte einen großen Optimismus und meinte, <br>
so niederträchtig könnte doch Italien als Bundesgenosse nicht sein <br>
und sich gegen die Monarchie wenden. Ich habe ihm darauf er- <br>
widert, daß bei einem vorläufigen Konflikt mit Serbien allein das <br>
Bündnis nicht in Frage komme und Italien sich sehr wohl, wenn <br>
auch vielleicht nur moralisch, auf Serbiens Seite stellen könnte, daß <br>
aber dies schon für die Festigkeit des Dreibundes verhängnisvoll <br>
werden könnte und zweifellos die Aktionslust Rußlands stärken würde. <br>
Dies leuchtete dem Minister entschieden ein, doch kam er von sich <br>
aus nicht auf etwaige Kompensationen zu sprechen; auch auf die <br>
von dem hinzugezogenen Hoyos getane Äußerung, man müsse erst <br>
jedenfalls den Italienern etwas geben, ging er nicht weiter ein. Da <br>
der Botschafter schon morgen früh zurückkommt, habe ich es für <br>
richtiger gehalten, in Details dieser Frage, die doch jedenfalls eine <br>
Reihe eingehender Unterhaltungen nötig machen wird, von mir aus <br>
[nicht]<sup>4</sup> näher einzugehen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Dagegen habe ich gleich darauf mit Hoyos ein längeres Ge- <br>
spräch gehabt, wobei er von sich aus auf die Frage des Trento zu <br>
sprechen kam und mich fragte, ob man bei uns an diese Kompen- <br>
sation dächte, was ich bejahte. Er wies dies durchaus nicht ab, <br>
verschloß sich vor allen Dingen nicht den Argumenten, daß damit <br>
der Irredentismus aus der Welt geschafft werden würde. Ich habe <br>
ilim auch gesagt, daß es sich ja gegebenen Falles um das verhält- <br>
nismäßig kleine Gebiet des Bistums Trient zu handeln brauche. <br>
Er nahm alles freundschaftlichst an, erwähnte dann noch als etwaige <br>
Kompensation für Italien, daß man ihm den Dodekanesos ver- <br>
schaffen könnte<sup>5</sup>. Übrigens vertrat er den Standpunkt, daß Italien <br>
an sich kein Recht auf Kompensationen aus dem Abkommen her- <br>
leiten könne, da dieses sich nur auf die Türkei bezieht. Ich habe <br>
ihm aber entgegengehalten, daß in diesem Fall nicht von recht- <br>
lichen, sondern nur von politischen Gesichtspunkten die Rede sein <br>
könne, und daß Österreich mit Rücksicht auf das Bundesverhältnis <br>
alles tun müsse, um Italien um jeden Preis bei der Stange zu <br>
halten. Schließlich riet ich ihm, sie sollten bei etwaigem Ausbruch <br>
des Konflikts mit Serbien in Rom erklären, daß sie gar keinen <br>
Territorialerwerb beabsichtigten, daß sie aber, falls die Ereignisse <br>
einen solchen nötig machen sollten, Italien in der weitgehendsten <br>
Weise entschädigen würden. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Soeben war ich wieder bei Berchtold, der mir sagte, daß <br>
morgen die Note mit Tisza endgültig festgestellt werden solle, <br>
und daß sie immer noch je nach den Tagesereignissen (Interview <br>
Paschitsch, Artikel der »Samouprawa« etc.) modifiziert werde. Hoyos <br>
sagt mir eben, daß die Forderungen doch derart seien, daß ein <br>
Staat, der noch etwas Selbstbewußtsein und Würde habe, sie eigent- <br>
lich unmögüch annehmen könne. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Übrigens ist zwischen dem Botschafter und verschiedenen <br>
hiesigen Politikern wie Körber, Bacquehem etc. bereits früher öfter <br>
die Frage des Trento berührt worden, die sich alle sehr verständnis- <br>
voll gezeigt haben. Auch im Gespräch mit Berchtold ist schon <br>
einmal das Wort gefallen. <br>

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&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Ew. Exz. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;gehorsamer <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;W. &nbsp; S t o l b e r g <br>

<hr>
<sup>1</sup> Nach der Ausfertigung von Stolbergs Hand. <br>
<sup>2</sup> Das Schreiben ging v. Jagow persönlich zu, der es schon am 20. Juli nachm. <br>
beantwortete (siehe [[Nr. 89. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Wien, 20. Juli 1914|Nr. 89]]) und es erst dann im Amt journalisieren ließ, <br>
so daß es den Eingangsvermerk vom 21. Juli nachm. trägt. <br>
<sup>3</sup> Siehe [[Nr. 46. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Wien, 15. Juli 1914|Nr. 46]]. <br>
<sup>4</sup> »Nicht« fehlt in der Ausfertigung. <br>
<sup>5</sup> Siehe [[Nr. 89. Der Staatssekretär des Auswärtigen an den Botschafter in Wien, 20. Juli 1914|Nr. 89]] <br>