View source for V. Die Vermittlungsversuche

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&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Bei den Bestrebungen, die darauf ausgingen, zu verhüten, <br>
daß aus dem österreichisch - serbischen Konfükt ein allgemeiner <br>
Weltbrand entstehe, traten sich von Anfang an zwei Auffassungen <br>
gegenüber : <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;D e u t s c h l a n d&nbsp; wünschte Lokalisierung des Streites unter <br>
Durchführung eines begrenzten serbisch-österreichischen Krieges, <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;E n g l a n d&nbsp; wünschte Einmischung der Mächte unter Ver- <br>
meidung auch des lokalisierten Waffengangs. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die Ereignisse haben gezeigt, daß das Streben nach Lokali- <br>
sierung, wie Fürst Lichnowsky in einer Reihe eindringlich war- <br>
nender Berichte vorhergesagt hatte, gänzlich verfehlt war. Aber <br>
es ist kaum gerechtfertigt, diesen intellektuellen Irrtum, der haupt- <br>
sächlich auf einer UnterschätzungdesKriegswillens <br>
und der Kriegsbereitschaft des russisch-fran- <br>
zösischen Waffenbundes beruhte, als eine „Sabotierung <br>
der Friedensbemühungen" zu brandmarken (K. Seite 81). Es darf <br>
daran erinnert werden, daß auch König Georg von England, wohl <br>
nicht ohne Einvernehmen mit seinen verfassungsmäßigen Beratern, <br>
noch am 26. Juli dem Prinzen Heinrich von Preußen versicherte, <br>
„er und seine Regierung würden nichts unversucht lassen, um den <br>
Kampf zwischen Österreich und Serbien zu lokalisieren" <br>
(D. Nr. 374, K. Seite 106), und daß zwei Tage früher Sir Edward <br>
Grey dem deutschen Botschafter erklärt hatte, ,, solange es sich <br>
um einen ... lokalisierten Streit zwischen Österreich und <br>
Serbien handle, ginge ihn, Sir Edward Grey, die Sache nichts an" <br>
(D. Nr. 157, K. Seite 110). Der französische Botschafter in Wien <br>
vertrat am 22. Juli die Auffassung, Rußland werde ,,im Falle eines <br>
Waffenganges zwischen der Donaumonarchie und Serbien nicht <br>
aktiv eingreifen, sondern anstreben, daß der Krieg lokalisiert <br>
bleibe" (G. Seite 129). Der stellvertretende französische Minister <br>
des Auswärtigen äußerte noch zwei Tage später, nach Kenntnis <br>
des österreichischen Ultimatums, die ,, französische Regierung teile <br>
aufrichtig den (zu ergänzen : von deutscher Seite geäußerten) Wunsch, <br>
daß Konflikt lokalisiert bleibe" (D. Nr. 154). Der Glaube <br>
an die Möglichkeit der Lokalisierung war also nicht ausschließlich <br>
auf die deutsche Reichsleitung beschränkt. Dabei sei nochmals <br>
betont, daß diese Auffassung hier in keiner Weise, weder moralisch <br>
noch politisch, verteidigt werden soll. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Kautsky verfällt nun zwar nicht in den Fehler, zu behaupten, <br>
daß die deutsche Regierung „systematisch alle vermittelnden Be- <br>
mühungen zunichte gemacht habe", wie der Bericht der Entente- <br>
kommission vom 29. März 1919 (Weißbuch vom Juni 1919, Seite 35), <br>
sei es infolge seiner erstaunlichen Unkenntnis der Akten, sei es <br>
wider besseres Wissen, glauben zu machen versucht. Aber auch <br>
die Angabe ist unrichtig, daß Österreich ,,alle Vermittlungsvor- <br>
schläge" abgelehnt habe, und daß ,, keiner von Deutschland" aus- <br>
gegangen sei (K. Seite 83). Was zunächst Deutschland betrifft, <br>
so hatte Sir Edward Grey schon am 23. Juli dem österreichisch- <br>
ungarischen Botschafter gesagt, ,,das beste wäre wohl, wenn zwischen <br>
Wien und Petersburg direkter Gedankenaustausch geführt werden <br>
könnte" (Rotbuch 1919 Nr. 59). Gerade diesen direkten Gedanken- <br>
austausch nun regte Graf Pourtales am 26. Juli in Petersburg <br>
an, Sasonow ging darauf ein (D. Nr. 238, Orangebuch Nr. 32), Berlin <br>
gab die Anregung nach London und Wien weiter (D. Nr. 238, An- <br>
merkung 2, Nr. 248 und 277), Grey bezeichnete diese Methode <br>
wie am 23., so auch am 28. Juli als ,,die beste von allen" und ver- <br>
trat diesen Standpunkt noch am 29. (Blaubuch Nr. 67, D. <br>
Nr. 357). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Dieser in Berlin, Petersburg und London als gangbarster Weg <br>
angesehene Vorschlag wurde auch in Wien nach wiederholter dringen- <br>
der deutscher Befürwortung angenommen (D. Nr. 396, 433 und <br>
448, Rotbuch 1915, Nr. 49 und 50). Die Nachricht von der öster- <br>
reichischen Annahme wurde sofort nach London und Petersburg <br>
weitergegeben (D. Nr. 444 und dortige Anmerkung 3), veranlaßte <br>
aber leider London nicht dazu, einen ähnlichen Druck auf Peters- <br>
burg auszuüben, wie er von Berlin auf Wien erfolgt war (D. Nr. 489, <br>
Blaubuch Nr. 110). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Daß die viel besprochene, für die deutsche Diplomatie sehr <br>
belastend lautende Depesche des Grafen Szögyeny vom 27. Juli <br>
(K. Seite 87—89) energische deutsche Vermittlungsaktionen in <br>
Wien nicht verhindert hat, gibt auch die Kautskysche Dar- <br>
stellung zu, denn es wird dort über die Tätigkeit der Berliner Re- <br>
gierung gesagt: <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;,,Ein Wechsel in ihrer hartnäckigen Sabotierung jeglicher <br>
Friedensarbeit bereitet sich vor am 28. Juli" (K. Seite 90) — ge- <br>
nauer: mit der Depesche vom 27. Juli, 11°° abends (D. Nr. 277) <br>
und ferner: <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;,,Nach dem 29. Juli suchte sie den Frieden zu retten" (K. <br>
Seite 126) — richtiger: nachdem die entgegenkommende serbische <br>
Antwortnote am 28. Juli genau geprüft worden war. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Man muß sich vdrklich fragen, wie die Behauptung einer Ver- <br>
schwörung ,,zum mindesten gegen Serbien und Rußland, wenn <br>
nicht gegen den Frieden der Welt" noch aufrechterhalten werden <br>
kann, wenn man die Randbemerkungen Kaiser Wilhelms zur ser- <br>
bischen Antwortnote und sein Schreiben an den Staatssekretär des <br>
Auswärtigen vom 28. Juli, 10'' vormittags, kennt (D. Nr. 271, 293; <br>
K. Seite 91 und 92). Es handelt sich hier nicht um eine jener impul- <br>
siven, rasch wechselnden Eingebungen des Augenblicks, die nach <br>
Ausweis der Akten häufig keinerlei Beachtung fanden, sondern um <br>
einen ausdrücklichen Befehl zur Einleitung einer bestimmten Aktion <br>
in Wien auf der Grundlage, daß Österreich seine militärischen Opera- <br>
tionen auf eine Besetzung von Belgrad nebst angrenzendem Gebiet <br>
beschränke, das ist auf derselben Basis, wie sie der englische Staats- <br>
sekretär 30 Stunden später vorschlug (Blaubuch Nr. 88), und wie <br>
sie nach dem Scheitern des Konferenzgedankens wohl von allen <br>
eingeweihten und einsichtigen Politikern als der beste Ausweg aus <br>
der Gefahr angesehen wurde. Zu bedauern bleibt dabei <br>
immerhin, daß nicht sofort die bevorstehende <br>
Kriegserklärung an Serbien verhindert wurde. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Dieser, am 27. Juli abends beginnende, am folgenden Tage <br>
deutlicher in die Erscheinung tretende Umschwung der Stimmung <br>
beweist auch, daß die energischen Mahnnoten nach Wien in der <br>
Nacht vom 29. zum 30. Juli nicht ausschließlich auf die drohende <br>
Haltung Englands zurückgeführt werden dürfen, über die Fürst <br>
Lichnowsky am 29. Juli in zwei Depeschen berichtete (D. Nr. 357 <br>
und 368). Selbstverständlich waren die Londoner Drohungen ein <br>
mächtiger Ansporn, die Bemühungen um Erhaltung des Friedens <br>
zu verdoppeln, aber den ausschließlichen Anlaß dazu bildeten sie <br>
nicht. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Wie sehr damals die deutschen Bemühungen von England <br>
anerkannt wurden, zeigt der Leitartikel der ,, Times" vom 30. Juli, <br>
in dem gesagt wurde: ,,Es ist ein offenes Geheimnis, daß Deutsch- <br>
land sein möglichstes tut, um den Draht zwischen der russischen <br>
und der österreichischen Hauptstadt zu knüpfen" (it is an open <br>
secret that Germany is doing her best ,,to restore the wire" between <br>
the Russian and Austrian capitals). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Nebenbei bemerkt, zeigt sich gerade an diesem Tage, wie leicht <br>
der Einfluß der kaiserlichen Marginalien überschätzt werden kann. <br>
So werden auf Seite 114—116 ausführlich die Bemerkungen des <br>
Kaisers zur letzten Depesche Lichnowskys vom 29. Juli mitgeteilt. <br>
Diese Notizen wurden aber erst am 30. Juli, 1^ nachmittags, ge- <br>
schrieben, dem Auswärtigen Amt also noch später bekannt. Jedoch <br>
schon am frühen Morgen, um 2°^, war die englische Warnung fast <br>
in vollem Wortlaut unter Anfügung einer sehr deutlichen deutschen <br>
Warnung nach Wien telegraphiert worden (D. Nr. 395), worauf <br>
5 Minuten später, um 3° morgens, eine zweite Mahnung wegen Auf- <br>
nahme der direkten Besprechungen Wien-Petersburg folgte (D. <br>
Nr. 396). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die Kautskysche Darstellung rückt immerhin weit ab von <br>
jenen Verleumdern, die in den Mahndepeschen Berlin— Wien nur <br>
Lug und Trug und Heuchelei sehen wollen oder die mit dem scham- <br>
losen Ultimatum vom 16. Juni 1919 behaupten, sie seien im voraus <br>
durch geheime Weisungen unwirksam gemacht worden. Ein Zweifel <br>
an der Ehrlichkeit des Friedenswillens wird nicht geäußert, aber die <br>
Hindernisse, an denen er scheiterte, sind nicht erschöpfend ge- <br>
würdigt. Das eine Hindernis wird in der österreichischen Regierung, <br>
das andere in der Einwirkung des deutschen Generalstabes gesehen <br>
(K. Seite 126). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Hinsichtlich des ersten Hindernisses muß dem ausgesprochenen <br>
Urteil auf Grund der Veröffentlichungen von Dr. R. Gooss zuge- <br>
stimmt werden. Der von Deutschland so dringend empfohlene <br>
Greysche Vorschlag wurde von Wien in außerordentlich <br>
dilatorischer Weise behandelt, vom Ministerrat am 31. Juli nur <br>
zum Schein unter Vorbehalt angenommen, auch diese bedingte <br>
Annahme erst am 1. August 3*^ vormittags nach Berlin, London <br>
und Petersburg mitgeteilt und vom österreichisch-ungarischen Bot- <br>
schafter in Berlin, soweit bis jetzt festgestellt werden kann, nicht <br>
mehr an das Auswärtige Amt weitergegeben (G. Seite 301—304, <br>
Seite 235-340). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Auf die Wiederaufnahme der direkten Besprechungen <br>
war das Wiener Kabinett infolge des deutschen Druckes, <br>
wie schon erwähnt, zwar eingegangen, aber die entsprechenden <br>
Weisungen nach Petersburg wurden unbegreiflicherweise erst am <br>
31. Juli, H° morgens, expediert und trafen daher erst im Laufe des <br>
späten Nachmittags beim dortigen Botschafter ein (G. Seite 292, <br>
Anmerkung 1 und Seite 297), also erst zu einer Zeit, da die Lage <br>
durch die allgemeinen Mobilmachungen in Rußland und Österreich- <br>
Ungarn und die Absendung der deutschen Ultimaten schon äußerst <br>
bedrohlich geworden war. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Bei dem zweiten Hindernis aber, dem Drängen des <br>
deutschen Generalstabes auf eine baldige Ent- <br>
scheidung, wird übersehen, daß die militärischen Maßnahmen in <br>
Rußland dieses Drängen sehr begreiflich machten.