VI. Die Mobilmachungen: Difference between revisions

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Stärkeverhältnisse Österreich-Ungarn schon auf die russische Teil- <br>
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mobilmachung mit seiner Gesamtmobilmachung zu antworten ge- <br>
mobilmachung mit seiner Gesamtmobilmachung zu antworten ge- <br>
nötigt war. Sie mußten wissen, daß die Mobilmachung <br>
nötigt war. Sie mußten wissen, daß die &nbsp;M o b i l m a c h u n g <br>
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Revision as of 00:07, 27 November 2015

WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 5 (Commentary) > Glossen zu den Vorkriegsakten > VI. Die Mobilmachungen


     Damit gelangt die Besprechung zu einem Abschnitt, der im
vorliegenden Buch unzulänglich dargestellt ist, den militärischen
Maßnahmen im Juli 1914. Zunächst liegt das Versehen vor, die
Mobilmachungen, die 1912/13 in Österreich-Ungarn und Ruß-
land stattfanden, denen des Jahres 1914 gleichzustellen (K. S. 29
und 135). Im ersten Falle aber handelte es sich um Maßnahmen,
die auf Grund von  S o n d e r b e f e h l e n  allmählich die Präsenz-
stärke bei einer Anzahl von Truppenteilen erhöhten, von einem
Aufmarsch, das ist: der Versammlung außerhalb der Friedensgarni-
sonen an den bedrohten Grenzen, jedoch absahen. So wurden da-
mals in Österreich-Ungarn die beiden bosnischen Armeekorps
(XV. und XVi.) auf vollen Kriegsstand gebracht, bei drei weiteren
Korps im Innern der Monarchie (IV., VII., XIII.) durch Einziehung
einer Klasse der Reserve und dreier Jahrgänge der Ersatzreserve
eine erhebliche, bei den drei galizischen Korps (I., X., XI.) sowie
bei sechs Kavalleriedivisionen eine geringere Erhöhung des Friedens-
standes durchgeführt. Ähnlich war es damals in Rußland; dort
handelte es sich im Winter 1912/13 hauptsächlich um die zum ersten
Male angewendete Maßnahme der Zurückbehaitung des ältesten
Jahrgangs bei den Fahnen, ferner um „Probemobilmachungen"
(opytnaja mobilisazija), bei denen die einzuziehenden Reservisten
und Pferde durch Abgaben anderer Truppenteile dargestellt wurden,
sowie um „Kontrollmobilmachungen" (powjerotschnaja mobili-
sazija), bei denen nach den 1911 aufgestellten „Grundsätzen" die
zur Ergänzung auf Kriegsstärke nötigen Reservisten wirklich
einberufen, Pferde und Fahrzeuge von der Bevölkerung gestellt
wurden.
     Im Jahre 1914 aber werden die f ü r b e s t i m m t e K r i e g s -
f ä l l e   v o r g e s e h e n e n   M o b i l m a c h u n g s b e f e h l e   er-
lassen, auf Grund deren nach lange festgelegtem, sorgfältig vor-
bereitetem Plane nicht nur die Ergänzung der Truppen auf Kriegs-
stärke, sondern auch die Beschaffung des gesamten Kriegsgeräts
und in unmittelbarem Anschluß daran, teilweise schon gleichzeitig
damit, der  A u f m a r s c h  durchgeführt werden, die kriegerischen
Operationen beginnen sollten.
     Ein weiterer Irrtum ist es, wenn aus einer der von Eisner weg-
gelassenen Stellen des bayerischen Gesandtschaftsberichts vom
18. Juli (D, Anhang IV. 2) gefolgert wird, nach deutscher Auf-
fassung habe, „wenn Österreich mobilisierte", dies „automatisch"
die russische Mobilisierung nach sich ziehen müssen (K. Seite 128,
129). Das wird von der österreichischen  G e s a m t  mobilmachung,
insbesondere von der in Galizien, gesagt, nicht aber von der am
25. Juli verfügten  T e i l  mobilmachung, die Galizien  n i c h t  be-
rührte. Die österreichische  G e s a m t  mobilmachung, von der
die automatische Gegenwirkung befürchtet wurde, ist, wie jetzt
doch allgemein bekannt sein sollte, nicht vor, sondern  n a c h  der
russischen Totalmobilisierung erfolgt, obwohl sie schon gegenüber
der am 29. Juli offiziell mitgeteilten Teilmobilmachung von 13 Armee-
korps eine völlig gerechtfertigte, rein defensive Maßnahme bildete;
denn damit wurden lediglich 50 Truppen-, Landwehr- und Honved-
divisionen — mehr zählte das Heer des Donaustaates nicht —
gegen 54 (50) russische und serbische Divisionen — 39 russische
Feld- und Reservedivisionen und 15 (nach deutscher Berechnung 1 1)
serbische — bereitgestellt. Auch eine streng pazifistische Regierung
hätte auf diese Maßnahme nicht verzichten können, die der deutsche
Generalstabschef am 30. Juli nachmittags dem k. u. k. Militär-
attache dringend empfahl, und die, reichlich spät, am 31. Juli,
12-3 nachmittags, angeordnet wurde (G. Seite 307 Abs. 2 und 6),
also  f a s t z w e i v o l l e T a g e ,  nachdem in Rußland die Mobili-
sierung des gesamten Heeres insgeheim und gegen den Willen des
Zaren nicht nur angeordnet, sondern auch begonnen (Bericht des
britischen Botschafters in Petersburg vom 15. September 1917),
und  m e h r e r e   S t u n d e n  später, als die allgemeine Mobil-
machungsorder in den Straßen von Petersburg angeschlagen worden
war.
     Daß die Einbeziehung von zwei Korps im Norden (K. Seite
129), nämlich in Böhmen und Mähren (VIII. und IX.) in die öster-
reichisch-ungarische Teilmobilmachung vom 25. Juli, keinerlei Be-
drohung Rußlands bedeuten konnte, sollte bei einem Blick auf die
Karte auch dem militärischen Laien zum Bewußtsein kommen.
Was den Bericht des französischen Botschafters in Petersburg über
die Begründung der allgemeinen russischen Mobilmachung betrifft
(a. a. O.), so ist seit den Enthüllungen Pokrowskis in der „Prawda"
ziemlich allgemein bekannt, daß dieser Bericht nicht nur der Wahr-
heit widerspricht, sondern auch im französischen Gelbbuch in ge-
fälschter Weise eingeordnet ist, da schon am frühen Morgen des
31. Juli in Paris ein, die Mobilisierung der ganzen russischen Armee
„ohne jede Ausnahme" mitteilendes Telegramm des Petersburger
Botschafters eingetroffen war (Weißbuch Juni 1919 Seite 207),
Durch die erwähnten russischen Enthüllungen sind ja eine ganze
Reihe auch anderer Nummern des französischen Gelbbuches sowie
des russischen Orangebuches als großenteils absichtliche Irrefüh-
rungen entlarvt.
     Wenig überzeugend wirkt der Versuch, zu beweisen, daß man
die russische Mobilmachung „in deutschen Regierungskreisen selbst
nicht aus kriegerischen Absichten der russischen Regierung" er-
klärte (K. Seite 129/130). Das Telegramm des deutschen Militär-
bevollmächtigten in Petersburg vom 30. Juli, man habe „aus Angst
vor kommenden Ereignissen ohne aggressive Absichten" mobilisiert
(D. Nr. 445), bezieht sich nämlich nicht etwa auf die damals noch
verheimlichte allgemeine Mobilisierung, sondern auf die T e i l -
mobilmachung gegen Österreich. Doch auch von dieser sagt General
von Chelius in derselben Depesche, „diese frühzeitige Mobilisierung
gegen Österreich in einem lokalen Kriege desselben gegen Serbien
trage nunmehr die Schuld an  u n a b s e h b a r e n  F o l g e n ", und
der angeführte Satz über das Fehlen aggresiver Absichten endet
damit, daß man auch in Petersburg „e r s c h r e c k t ist darüber,
was man angerichtet hat".
     Das Telegramm des Reichskanzlers an die Londoner Botschaft,
es sei „nicht unmöglich", daß die russische allgemeine Mobilmachung
durch in Berlin „kursierende falsche und sofort amtlich dementierte
Gerüchte" über eine deutsche Mobilisierung verursacht worden sei
(D. Nr. 488) — gemeint ist das Extrablatt des „Lokal-Anzeigers" —
äußert eine Vermutung, deren Unrichtigkeit längst erwiesen ist;
denn sogar das russische Orangebuch (Nr. 62) sagt, daß die Nach-
richt von der deutschen Mobilmachung sich sofort als irrig heraus-
gestellt habe. Damit kommt auch dieses Telegramm als Entlastungs-
beweis für das verbrecherische Treiben der Januschkjewitsch und
Suchomlinow in Wegfall. W i e  e r n s t  g e r a d e  i n  d e u t s c h e n
R e g i e r u n g s k r e i s e n  d i e  r u s s i s c h e n  M o b i l i s i e -
r u n g s m a ß n a h m e n  v o n  A n f a n g  a n  a u f g e f a ß t
w u r d e n , ist schon am 26. Juli viermal in den Akten zu lesen
(D. Nr. 198, 199, 200, 219), und dort am 29. sogar achtmal nieder-
gelegt (D. Nr. 342, 343, 359, 365, 370, 378, 380, 387).
     In der ganzen Darstellung wird die russische Teilmobilmachung
von 13 Armeekorps am 29. Juli überhaupt nicht erwähnt, das
Datum der allgemeinen russischen Mobilmachung, deren Beginn
selbst nach englischen Quellen (Oman : „The Outbreak of the War
1914—1918") auf denselben 29. verlegt wird,' ist unrichtig ange-
geben. Kein Leser kann aus der gebotenen Schilderung entnehmen,
daß in der Zeit vom 26. Juli, \2^° vormittags, bis zum 29. Juli,
10^* nachm. — abgesehen von einer Anzahl weniger wichtiger, in
die amtliche Publikation nicht aufgenommener Nachrichten — nicht
weniger als v i e r u n d z w a n z i g M e l d u n g e n über russische
Mobilmachungsmaßnahmen beim Auswärtigen Amt eingegangen
sind, von denen sich mehr als die Hälfte, nämlich  v i e r z e h n ,
auch auf die von russischer Seite beharrlich abgeleugnete
d e u t s c h e  Front bezogen. Dadurch mußte ein Gefühl von Un-
sicherheit entstehen, das ein Drängen militärisch verantwortlicher
Stellen auf eine Entscheidung wohl erklärlich macht. Was sollte
werden, wenn Rußland unter dem Vorwand der „Mobilmachung
nur gegen Österreich" ein Korps nach dem anderen auch gegenüber
Deutschland mobilisierte? Wer damals die Verantwortung nicht
zu tragen hatte, kann nachträglich leicht kritisieren. Zudem können,
seitdem im Mai 1919 die französisch-russische Militärkonvention
von 1893/4 veröffentlicht worden ist, die russischen Vorspiegelungen,
daß die Mobilmachung in Rußland etwas anderes bedeute als in den
westlichen Ländern, und daß sie nicht unmittelbar von militärischen
Operationen gefolgt sein werde, nicht mehr als glaubhaft angesehen
werden. Die politischen und militärischen Ratgeber des Zaren
konnten nicht im Unklaren darüber sein, daß in Anbetracht der
Stärkeverhältnisse Österreich-Ungarn schon auf die russische Teil-
mobilmachung mit seiner Gesamtmobilmachung zu antworten ge-
nötigt war. Sie mußten wissen, daß die  M o b i l m a c h u n g
a u c h  n u r  e i n e s  D r e i b u n d s t a a t e s  v e r t r a g s m ä ß i g
d i e  M o b i l i s i e r u n g  d e r  g e s a m t e n ,  n i c h t n u r r u s -
s i s c h e n ,  s o n d e r n  a u c h  f r a n z ö s i s c h e n  S t r e i t -
k r ä f t e  u n d  d e r e n  u n g e s ä u m t e n  E i n s a t z  z u  e n t -
s c h e i d e n d e m   K a m p f e  nach sich zu ziehen hatte (Artikel 2
und 3 der im Anhang abgedruckten französisch-russischen Militär-
konvention). Schon die russische Teilmobilmachung zog daher
„automatisch" die österreichisch-ungarische und damit „vertrags-
gemäß" die französische Gesamtmobilisierung nach sich; Mobil-
machung in Rußland bedeutete somit nicht „etwas anderes" als in
westlichen Ländern. Zudem hatte schon 1892 der russische General-
stabschef gesagt: „Im Falle eines Krieges gegen Österreich ist es
für Rußland unbedingt unmöglich, eine Teilmobilmachung durch-
zuführen, Rußland muß und wird zu einer Gesamtmobilmachung
schreiten" (3. französisches Gelbbuch Nr. 53).