View source for XI. Schlußbemerkungen

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&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Zusammenfassend kann man sagen, daß das Kautskysche Buch <br>
wegen seiner Beschränkung auf nur einen Teil der längst allgemein <br>
zugänglichen Quellen nicht als ein Ergebnis unparteiischer For- <br>
schung gelten kann. Die übertriebene Bewertung der kaiserlichen <br>
Marginalien gibt dem, in den Dienstgang der höheren deutschen <br>
Behörden nicht eingeweihten Leser ein durchaus unrichtiges Bild, <br>
denn es fehlt jede Aufklärung darüber, wann die Randglossen ge- <br>
schrieben und wie oft sie nicht beachtet wurden. Ein Beispiel ist <br>
schon auf Seite 22 angeführt, daß nämlich die Bemerkungen Kaiser <br>
Wilhelms zum Telegramm Lichnowskys vom 29. Juli, 9<sup>12</sup> nachm., <br>
erst niedergeschrieben wurden, nachdem dieses Telegramm längst <br>
mit scharfem Mahnwort nach Wien weitergegeben war (D. Nr. 368 <br>
und 395). Als weiteres Beispiel sei angeführt, daß die wiederholte <br>
Randbemerkung, Österreich solle doch den Sandschak von Serbien <br>
zurücknehmen, die deutsche politische Leitung nicht abgehalten <br>
hat, gerade den Verzicht des Wiener Kabinetts auf Annexionen <br>
nachdrücklichst und scheinbar erfolgreich zu fordern (D. Nr. 29 <br>
und 155, andererseits Nr. 104, 198-200, 323 und 361). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;In &nbsp;f o r m e l l e r&nbsp; Beziehung wirkt störend, daß Kautsky sein <br>
Buch vor Ausgabe der amtlichen Aktenpublikation geschrieben hat <br>
und daher nicht auf die zur Zeit der Niederschrift noch nicht end- <br>
gültig feststehenden Nummern der Aktenstücke hinweisen konnte. <br>
Wer genau arbeiten will, sei schließlich noch auf folgende kleinere <br>
Unstimmigkeiten und Druckfehler aufmerksam gemacht: <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Zur Zeit des Abschlusses der französisch-russischen Allianz <br>
(Seite 16) im Jahre 1891/92 war die Zahl der für den Kriegsdienst <br>
in Betracht kommenden, über 20 Jahre alten Männer in Deutsch- <br>
land und Frankreich nahezu gleich; der spätere Überschuß dieser <br>
Jahresklassen in Deutschland wurde auch 1914 durch Verlängerung <br>
der Wehrpflicht noch ausgeglichen (Seite 13) und künftig durch <br>
den viel bedeutenderen Bevölkerungszuwachs Rußlands mehr als <br>
aufgewogen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Wie wenig infolge der Anfänge des deutschen Flottenbaues <br>
1897 „alle Gegensätze zwischen den einzelnen Staaten hinter den <br>
einen großen Gegensatz gegen das Deutsche Reich" zurücktraten <br>
(K. Seite 17), beweist die französisch-englische Krise wegen Fa- <br>
schodas (1898), das Bündnisangebot Chamberlains.an Deutschland <br>
(1899), der russisch-japanische Krieg (1904/05) und der bis zum <br>
Jahre 1907 andauernde englisch-russische Antagonismus. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die Kriegserklärung Österreichs an Rußland wurde am 5., <br>
nicht 6. August abgesandt (K. Seite 57, D. Nr. 878). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Zu den Ausführungen auf Seite 88 ist zu bemerken, daß die <br>
Abberufung des österreichisch-ungarischen Botschafters in Berlin <br>
anscheinend schon seit längerer Zeit beschlossen war (D. Nr. 324). <br>
Wegen der mehrfach unklaren und irrigen Berichterstattung dieses <br>
einst mit Recht hochangesehenen Diplomaten darf auf Gooss S. 31, <br>
174, 235, 248, 253 Anm. 2 verwiesen werden. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Der englische Vorschlag vom 27. Juli wurde von Berlin nach <br>
Wien nicht „bloß weitergegeben" (K. Seite 90), sondern „zur Er- <br>
wägung unterbreitet", mit dem Beifügen, daß Deutschland „die <br>
Vermittlerrolle nicht abweisen könne" (D. Nr. 277). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Das Schreiben Kaiser Wilhelms vom 28. Juli, 10<sup>0<sup/> vormittags <br>
(K. Seite 91), ist an den Staatssekretär des Auswärtigen, nicht an <br>
den Reichskanzler, gerichtet. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Serbien zählte allerdings 1909 nur rund 3 Millionen Einwohner <br>
(K. Seite 98), aber die beiden Balkankriege brachten ihm den immer- <br>
hin nicht unbeträchtlichen Zuwachs von nahezu 2 Millionen; sein <br>
Gebietsumfang kam seitdem dem von Bayern und Sachsen zu- <br>
sammen nahezu gleich. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die Abgangszeiten der beiden Telegramme nach Wien in der <br>
Nacht vom 29. zum 30. Juli auf Seite 123 sind verwechselt. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Am 1, August mobilisierten nicht England und Frankreich <br>
(Seite 129), sondern Frankreich und Deutschland. England hatte <br>
für seine Flotte schon früher umfassende Maßnahmen getroffen <br>
(Gelbbuch Nr. 66, Blaubuch Nr. 47, 48 und 87; D. Nr. 484); der <br>
Mobilisierungsbefehl für das britische Landheer erging am 3. August, <br>
11 Uhr vormittags, etwa 18 Stunden, bevor deutsche Truppen bel- <br>
gischen Boden betraten (Lord Haldane im „Atlantic Monthly" <br>
vom Oktober 1919). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;In Petersburg waren Deutschland und Frankreich durch Bot- <br>
schafter, nicht Gesandte, vertreten (Seite 117 und 129); Herr de <br>
l'Escaille war belgischer Geschäftsträger, nicht Gesandter (Seite <br>
127), sondern vertrat diesen bis zu dessen Rückkehr am 31. Juli <br>
(IL belgisches Graubuch Nr. 17). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Es wird niemandem gelingen, die schwierige Materie der diplo- <br>
matisch-militärischen Geschichte der kritischen 13 Tage ohne <br>
ähnliche Irrtümer zu bearbeiten, wie sie im vorstehenden aufgezählt <br>
sind. Diese Erkenntnis sollte aber auch nachsichtig stimmen gegen <br>
die Abfassung des ersten deutschen Weißbuches vom 3. August <br>
1914, das nicht in monatelanger Arbeit, sondern in aller Hast binnen <br>
48 Stunden fertiggestellt werden mußte. Ein schwerer wiegender <br>
Irrtum ist es jedoch, wenn Herr Kautsky sich der Meinung hingibt, <br>
durch seine einseitige Darstellung der Vorgänge, die alle Fehler <br>
und Schlechtigkeiten der Gegenpartei verschweigt, dem deutschen <br>
Volke einen Dienst erwiesen zu haben (K. Seite 180). Die aus dem <br>
neutralen und feindlichen Auslande herüberklingenden Stimmen <br>
beweisen nur allzu deutlich das Gegenteil. Mit Wonne haben in <br>
England gerade die &nbsp;d e u t s c h f e i n d l i c h s t e n&nbsp; und &nbsp;r e a k - <br>
t i o n ä r s t e n&nbsp; Blätter die Schrift des deutschen Sozialistenführers <br>
ausgebeutet, die „Times" und die „Morning Post". In dem letzt- <br>
genannten Blatte war folgende Anklage gegen das &nbsp;d e u t s c h e <br>
V o l k&nbsp; zu lesen : <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;„Noch ein anderes geht aus diesen Enthüllungen hervor. Welches <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;war in Wirklichkeit in Deutschland die Macht, die auf den Untersee- <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;bootskrieg bestand? Dr. von Bethmann Hollweg hat kürzlich die Ant- <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;wort gegeben : &nbsp;E s &nbsp; w a r &nbsp; d a s &nbsp; d e u t s c h e &nbsp; V o l k. Wer war es, der <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;sich weigerte, in der elsaß-lothringischen Frage nachzugeben, als, nach <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Graf Czernin, sogar der Ex-Kaiser und der Ex-Kronprinz einem Kom- <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;promiß geneigt waren? Wieder das deutsche Volk, dem die gestohlenen <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Provinzen das Symbol früheren Raubes und die Verheißung künftigen <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Raubes waren. Das „Nein, niemals" des Herrn von Kühlmann war <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;das „Nein, niemals" des deutschen Volkes. Jeder feindliche Militär <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;oder Staatsmann, der gesprochen hat, hat es vollkommen klar gemacht, <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;daß er, mit seinem oder gegen seinen Willen, nur ein Werkzeug in der <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Hand seiner Nation war, die Weltherrschaft zu erlangen. Es ist darum <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;die Nation, wie unsere französischen Verbündeten von Anfang an ver- <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;langten, die bestraft werden muß." <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Ganz anders urteilen in England die Führer des &nbsp;P a z i f i s - <br>
m u s &nbsp; und &nbsp; s o z i a l e n &nbsp; F o r t s c h r i t t s. So schreibt <br>
P h. &nbsp; S n o w d e n&nbsp; in der Vorrede zu E. D. Morels Aufsatz <br>
über die „Diplomatie der Vorkriegszeit" mit Beziehung auf dessen <br>
früheres Buch „Die Wahrheit und der Krieg" : <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;„Dieses während des Krieges veröffentlichte Buch hat viel dazu <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;beigetragen, den durch die &nbsp;I r r e f ü h r u n g e n &nbsp; u n d &nbsp; U n w a h r - <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;h e i t e n d e r a l l i i e r t e n S t a a t s m ä n n e r&nbsp; geförderten, bequemen <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;und selbstgefälligen Glauben zu erschüttern, daß der Krieg ausschließ- <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;lich durch die Treibereien des deutschen Militarismus und das ehr- <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;geizige Streben Deutschlands nach Weltherrschaft verursacht worden sei."